Der Tankhof der Aral Tankstelle in der Reinhäuserlandstraße in Göttingen ist noch recht leer, als ein roter Toyota auffährt. Es ist acht Uhr morgens und der Arbeitstag von Thomas Hänsch, Chef und Inhaber der Tankstelle, fängt an. Nach der Begrüßung der Frühschicht widmet er sich der Warenannahmen und der Abrechnung. Dafür wird das Geld vom Vortag aus dem silbernen Tresor mit der Aufschrift „Angestellte haben keinen Schlüssel“ geholt und die handschriftliche Abrechnung der Nachtschicht benötigt. Die Nachtschichten machen die fünf Aushilfen. Die Früh- und Spätschichten die zwei Festangestellten. Die Anzahl der Mitarbeiter hat sich in den 50 Jahren nicht groß geändert, mal waren es sechs Aushilfen und mal drei Festangestellte. Auch Thomas Hänsch fängt 1987 als Festangestellter unter seinem Vater, Hans-Jürgen Hänsch, an. Der gelernte Kfz-Elektroniker arbeitete sowohl in der Werkstatt, als auch an der Kasse.
Hans-Jürgen Hänsch pachtete 1966 die Aral Tankstelle in der Hennebergstraße 9 und eröffnete sie am 22. November 1966: „Zu dieser Zeit wurden auch noch Tankstellen in den Nebenstraßen gebaut, da hat man die Tankstellen noch zum Kunden hin gebaut, aber Anfang der 70er war es wieder hinfällig und einzelne Tankstellen wurden schon wieder zu gemacht,“ so der heute 80-jährige. Der damals 30-jährige wollte sich selbständig machen, nachdem er mehrere Jahre bei Aral als Tankwart ausgebildet wurde und auch als solcher gearbeitet hat. Er bewarb sich auf die Henneberger Aral Tankstelle und bekam sie auch „recht fix“. Bei Eröffnung hatte die Tankstelle zwei Benzinsäulen, „Diesel hatten damals nur LKWs“, mit einem 30.000 l Tank, wo „man froh war wenn man 1000 l am Tag hatte und damals wurden die Kunden ja auch noch bedient beim tanken.“ Zudem zwei Plätze um selber sein Auto zu waschen, eine Werkstatt und ein Shop mit 16 qm. Zum Vergleich: Der jetzige Shop hat 111qm. Gefüllt ist der quadratische Verkaufsraum mit einer Zeitungswand, einem großen Kühlschrank mit kalten Getränken und Aufschnitt, sowie eine Eistruhe, parallel dazu zwei Längsregale mit Chips, Keksen und Autozubehör. Hinter der Kasse besteht die Wand zum Großteil aus den unterschiedlichsten Zigarettensorten. Die Werkstatt hatte damals noch mehr Aufträge, „die Autos waren halt noch nicht so gut wie heute und brauchten zum Beispiel alle halbe Jahre einen Ölwechsel.“
1971 erfolgte dann der erste Umbau: eine Waschanlage wurde angebaut, eine dritte Säule und ein Dieseltank kamen dazu. Der Shop wurde vergrößert. 1977 wurden aus drei fünf Säulen und der Shop abermals erweitert. „Anfangs gab es in dem Shop nur Politur und Pflegemittel, Lebensmittel und Getränke kamen erst später dazu“, so Thomas Hänsch. Der heute 53-jährige übernimmt 1996 die Tankstelle von seinem Vater. Ebenfalls erstmal als Pächter. „War mir klar, dass ich sie übernehme. Hätte ich nicht machen müssen, aber mein Vater hat`s gefreut“, erzählt Herr Hänsch. Er sitzt in seinem kleinen, recht vollgestopften Büro und trägt eine blaue Latzhose als Arbeitskleidung. Blau ist die Farbe von Aral, vom Schriftzug bis hin zu den Säulen ist alles in Blau gehalten. Kommt ein Angestellter in das Büro, um wie so oft mitzuteilen, dass im Verkaufsraum ein Kunde steht der Hilfe bei seinem Auto braucht, fällt ihm zuerst ein kleiner Tisch auf. Zu sehen sind abgelaufene MMs, die zurückgeschickt werden müssen und eine Packung Hustenbonbons. Rechts davon an der Wand hängt ein großes Bild der Reinhäuser Aral. Auch allerhand Technikkram befindet sich hier: vom Computer, mit Aral Bildschirmhintergund, Fax, Taschenrechner bis hin zu zwei Telefonen, mit denen oft Autoteile für Kunden bestellt werden. In der Mitte steht ein drehbarer Bürostuhl mit einer blauen Araljacke über der Lehne. Neben dem Büro und Verkaufsraum hat das Gebäude noch sechs weitere Räume, darunter eine Küche und das Mitarbeiter-WC. Im langen weißen Flur hängt eine Wand mit Urkunden, sowohl von Thomas, als auch von Hans-Jürgen Hänsch. Die vom 50-jährigen Jubiläum ist auch dabei.
2008 folgte dann der Umzug in die Reinhäuserlandstraße 108: „Aral wollte mir die alte Tankstelle verkaufen und sich um die weitere Verpachtung des Grundstückes kümmern, aber der Eigentümer des Grundstückes wollte das nicht. Wir haben mehr als ein Jahr verhandelt und er hat sich nicht so richtig ausgesprochen und dann ging es auf einmal ganz schnell und ich konnte diese Tankstelle käuflich erwerben.“ Der neue Tankstellenbesitzer lieh sich dafür Geld von der Sparkasse und nutzte sein Eigenkapital und „sagen wir so, Aral hat die fast 40 Jahre der Familie Hänsch beim Kaufpreis anerkannt.“ Der Zeitpunkt war perfekt: „Wir haben am 30.06. morgens um acht die neue Tankstelle übernommen und die Alte abends um sechs zugemacht.“ Mit „wir“ sind die drei Hänschs gemeint, denn Irmgard Hänsch war auch von Anfang an als Festangestellte in der Tankstelle ihres Mannes tätig und kommt auch heute noch jeden Werktag für ein paar Stunden zur Unterstützung ihres Sohnes in die Tankstelle. Das eine Tankstelle so lange im Familienbetrieb läuft ist eine Seltenheit. Das Henneberggrundstück ist heute eine verwilderte Wiese.
Die „neue“ Aral ist allgemein größer, hat sechs Säulen und Ende 2008 kam dann auch noch die Gassäule dazu: „Gas hatte sein Boom erlebt,“ erinnert sich Herr Hänsch. Die einzige weitere größere Erweiterung kam 2009: der Verkauf von Gasflaschen, aufgrund des neu gebauten Wohnmobilplatzes nahe der Eiswiese. Sonst hat sich nicht viel geändert. Geöffnet ist weiterhin bis 23 beziehungsweise freitags und samstags bis 24 Uhr, aus Wettbewerbsgründen, da die meisten Tankstellen in Göttingen schon um 22 Uhr schließen. Neben den Öffnungszeiten liegt alles außer den Benzin- und Ölpreise allein in Thomas Hänschs Hand. Aral bestimmt die Preise und die Werbung, „der Rest ist meine Sache.“ Die Zusammenarbeit beschreibt Herr Hänsch in all den Jahren als gut.
„Benzin ist das weswegen die Leute auf den Hof fahren, danach ist der größte Umsatz mit Alkohol und Zigaretten, “ erklärt Herr Hänsch. Die Geschäfte laufen gut, „ich bin zufrieden“, schmunzelt er und schlägt die Beine übereinander. Allerdings: „Früher waren die Preise niedriger, angefangen haben wir mit 60 Pfenning pro l Benzin.“ Heute zahlt der Kunde zum Beispiel 1,34 Euro pro Liter und ungefähr alle zwei Stunden spuckt die Kasse eine neue Preisänderung aus, „damals wurde der Preis nicht so oft geändert, vielleicht ein bis zweimal im Monat“, erinnert er sich. Nach einem kurzen Kundentelefongespräch, „kommen Sie doch morgen einfach mal vorbei“, meint Thomas Hänsch: „Tankstellen haben die Tante-Emma-Läden ersetzt.“ Er spielt darauf an, dass heutzutage nicht nur zig Getränkesorten käuflich zu erwerben sind, sondern auch Fertiggerichte, Hygieneartikel und allerhand der unterschiedlichsten Zeitungen. An den Kassentresen schließt ein kleines Bistro an, wo jeden Tag frische und belegte Brötchen verkauft werden. „Früher gab’s das nicht. Da hatten wir ja gerade mal ne Schublade mit Kasseneinsatz, man müsste noch die Zapfsäulenstände notieren und die erste Computerkasse kam erst in den 80er, das Strichcodesystem dann 1988. Man musste auch alle Umsätze handschriftlich aufschreiben und Kassenbuch führen. Heute geht das alles elektronisch.“ Auch eine Alarmanlage war bis 1992 nicht notwendig, doch dann kam es vermehrt zu Überfallen und sie wurde unabdingbar.
Schwere Zeiten gab es eigentlich nur dann, wenn die Benzinpreise extrem hoch waren. „Aber mit einem guten Service kann man das ein bisschen auffangen.“ Und den bietet die Tankstelle Hänsch seit 50 Jahren. Wenn wieder mal ein Kunde Hilfe beim Abblendlicht braucht, heißt es „fahren Sie in die Halle, bin gleich da.“ Zum Feierabend wird die blaue Latzhose gegen eine Jeans getauscht. Ein Resümee aus 50 Jahren? „Es macht immer noch Spaß.“