Es ist Donnerstagmorgen auf dem Wochenmarkt Göttingen. In der trüben Morgendämmerung stehen die zahlreichen Marktstände bereits auf ihren zugewiesenen, grün nummerierten Positionen auf dem asphaltierten Platz neben dem jungen Theater an der Hospitalstraße. Das Obst und das Gemüse werden an die richtigen Positionen gelegt und die Preisschilder werden hier und da nochmal kontrolliert. Auf den Wegen zwischen den Buden laufen noch wenige kauffreudige Menschen herum. Die Händler bereiten sich an diesem winterlich kalten Tag gelassen auf die Kunden vor, die überwiegend am späten Vormittag auftauchen werden.
Dieter Rabe: Der Alltag eines Marktbeschickers
Unter den Marktbeschickern, so nennen sich die Händler auf dem Marktplatz, ist Dieter Rabe. Gegen halb fünf bricht der 71-jährige Einbecker mit dem Verkaufswagen von zu Hause auf, um das Geflügel, die Pilze, die Eier und die Käse überwiegend aus regionaler Produktion unter die Göttinger Bevölkerung zu bringen. Gegen fünf Uhr beginnt der Aufbau des Standes auf dem Marktplatz, der ungefähr eine Stunde andauert. Der Verkaufswagen wird aufgeklappt. Die Lebensmittel werden getrennt voneinander sorgfältig an ihren Platz hinter dem Thekenfenster sortiert. Am hinteren Ende wird ein kleiner Vorzelt aufgestellt, sodass die überdachte Verkaufsfläche vergrößert wird. Darin werden stapelweise Hühnereier platziert. Gemeinsam mit einer Hilfskraft beginnt um acht Uhr der Verkauf. In seinem grauen Arbeitsmantel begrüßt Dieter Rabe freundlich die Kunden und überreicht ihnen die gewünschten Lebensmittel.
Nach dem offiziellen Ende dauert der Abbau genauso lange wie der Aufbau. „Der Platz wird beim Abbau sauber hinterlassen wie wir es vorgefunden haben. So ist die Verordnung, die die Stadt stellt.“, erklärt der Einbecker Händler. Ungefähr eine Stunde nach Ladenschluss ist er wieder daheim. Es ist eine Routine, die Dieter Rabe schon seit 1971 mindestens fünfmal in der Woche gerne nachkommt. Solange die Kräfte halten, wird er die Tätigkeit weiterhin ausführen.
Der Dienstag- und Donnerstagvormittag ist für den Marktbeschicker in Göttingen eher ein ruhiger Tag. Der größere finanzielle Ertrag findet erst am Samstag statt, wenn die Leute ihre verdientes Wochenende genießen und mehr Zeit zum Einkaufen haben.
Aller Anfang ist schwer
Rabe erinnert sich an seine ersten Tage als Marktbeschicker. „Meine Tante hat vor meiner Zeit auf dem Markt gearbeitet. So hatte ich einen ersten Eindruck vom Wochenmarkt bekommen. An meinen ersten Tagen als Marktbeschicker kam ich mir ziemlich blöd vor.“ Doch nach und nach löst sich dieses Gefühl durch die tägliche Berufserfahrung und die Mithilfe von freundlichen Mitarbeitern auf. An manchen Tagen wurden kaum Produkte verkauft. Da kann sich jeder gut vorstellen, dass so ein Erlebnis für einen jungen Händler ziemlich deprimierend ist. Doch es hat schon immer gute und schlechte Verkaufstage gegeben. Seitdem ist Dieter Rabe mit seiner Frau fast täglich eifrig auch auf den Wochenmärkten in Hannoversch Münden und in Bovenden vertreten. Vor vielen Jahren haben sie die hauseigene Hühnerhaltung wegen des vollen Terminkalenders aufgegeben und konzentrieren sich auf den Verkauf der produzierten Lebensmittel aus der Nachbarschaft. „Früher haben meine Frau und ich auch einen Standplatz auf dem Markt in Wiezenhausen gehabt. Aber aus Altersgründen müssen wir Prioritäten setzen und wollten uns nicht stark überlasten.“, sagt der 71-Jährige.
Marktfest, Spendenaktion und Co
Dieter Rabe denkt wehmütig an die früheren Jahrzehnte zurück, als auch an den beiden Werktagen zahlreiche Göttinger selbst in den frühsten Stunden an den Wochenmarkt gekommen sind, um die frisch geernteten Lebensmittel zu kaufen. Damals hat es auch besondere Ereignistage gegeben, die das Marktleben verbessern soll, wie das Marktfest. „Der ganze musikalische Trubel hat nicht allen Kunden und Verkäufern gefallen. Ihr Argument war, dass der Markt kein Zirkus sei. Deswegen haben wir das Marktfest wieder abgeschafft.“, antwortet Dieter Rabe auf die Frage, warum es heute kein Marktfest mehr gibt. Dann hat es auch andere besondere Aktionen gegeben, wie das Aufwiegen der gespendeten Äpfel für die Göttinger Tafel, an das er sich mit einem schmunzelnden Gesicht gerne zurückerinnert.
Heute ist es anders: Die Menschen kaufen im Supermarkt Fertiggerichte und schätzen immer weniger die frische Kost des Wochenmarktes. Auch wenn der finanzielle Gewinn auf dem Wochenmarkt im Vergleich zu früheren Zeiten geringer ist, stehen die Händler auf ihren Standorten und geben den Menschen, die vorbeikommen, einen Lächeln entgegen. „Selbst bei -19°C stehen wir hier. Glücklicherweise haben wir auch einen klimatisierten Wagen.“, sagt der Einbecker Händler.
Ein Teil des Wochenmarktvereins
Dieter Rabe ist erster Vorsitzender des Wochenmarktvereins Göttingen e.V.. Ein eingetragener Verein wie dieser hat die Pflicht eine Versammlung zu veranstalten, die mindestens einmal im Jahr stattfindet. Der 71-Jährige ist einer von vier Vorstandsmitgliedern des Vereins, die die Aufgabe haben diese Veranstaltungen zu organisieren und Konflikte zu bewältigen. „Damals hat es mehr spontane, freundschaftliche Treffen gegeben, zum Beispiel ein gemeinsames Essen. Heute sind die Beziehungen zwischen den Händlern eher auf einer beruflichen Ebene.“, erklärt er.
Der Verein, der im Schnitt aus 60 Marktbeschickern besteht, ist für die Eigenwerbung selbst verantwortlich. Die Gruppierung ist das Verbindungsglied zwischen dem Wochenmarkt und der Stadt Göttingen. Mit der Hilfe des Ordnungsamts wird darauf geachtet, dass die Regeln der Stadt eingehalten werden. Wenn jemand Interesse hat, einen Standplatz als Verkaufsfläche für die Lebensmittel zu mieten, muss der Kandidat die Stadtverwaltung anrufen und nach dem zuständigen Marktmeister erkundigen. Bei einer Verabredung kann nach einem zugewiesenen Standplatz nachgefragt werden.
Der Wunsch nach mehr Marktleben
Für den Wochenmarkt Göttingen wünscht sich Dieter Rabe mehr interessierte Besucher, die den Platz mit mehr Leben füllen. „Bei einem geringeren Zuspruch der Bevölkerung sind manche Händler schließlich am Überlegen, ob sie bei schlechtem Wetter in Göttingen die Produkte verkaufen wollen. Wenn dieser Zustand anhalten würde, verlieren die Marktbeschicker ihr Interesse, einen Stand in dieser Stadt zu halten.“, erklärt der Einbecker Marktbeschicker mit ernstem Gesichtsausdruck.
Allmählich teffen immer mehr Menschen auf dem asphaltierten Platz ein. Sie schauen sich vor der Theke die Produkte an und kaufen auch nach einer kleinen Konversation. Letztendlich bin ich der Meinung, dass dieser historische Ort ohne den Göttinger Wochenmarkt ein Teil der kulturellen Seele verlieren würde, die jede Stadt haben sollte.