Es ist Mittwoch, spätnachmittags. Anette lädt uns ein, dem allwöchentlichen „Flüchtlingstreffen“ im Inti Café, einem Göttinger Café in der Burgstraße, beizuwohnen. Während sie sich eine Zigarette dreht, begrüßt sie uns offenherzig. „Es sind noch nicht so viele da, lasst uns erstmal eine kleine Raucherpause machen“, sagt sie, zündet sich ihre Zigarette an und richtet ihren locker zusammengebundenen Zopf. Es ist 17 Uhr. Mittwochs können die Flüchtlinge im Inti Café zwei Stunden lang umsonst Essen und Trinken aus einer vom Inhaber vorher zusammengestellten Karte bestellen. „Die Idee basiert auf der Soli-Basis“, erklärt Anette. „Gäste zahlen ein Soligetränk im Wert von 2,50 Euro, das dann mittwochs den Flüchtlingen zum freien Verzehr zur Verfügung steht. Das Angebot wird super angenommen, es kommen mehr Getränke nach, als sie tatsächlich trinken können.“ Die Tische, die für die Flüchtlinge reserviert sind, füllen sich langsam. Anettes Mitstreiter Manik und Natalie begrüßen uns herzlich und stellen uns gegenseitig mit den bereits angekommenen Flüchtlingen vor. „Möchtet ihr etwas trinken?“, fragt die Bedienung. Wir vereinen. Anette greift ins Wort: „Aber eine Runde ‚Phase 10‘ könnt ihr mitspielen“. Mein Kollege und ich setzen uns mit Anette und vier Flüchtlingen an einen Tisch. Die Karten werden ausgeteilt. „Darf ich mitspielen?“, ruft es vom Nachbartisch herüber. Ein Göttinger setzt sich zu uns.
Eigeninitiative
Die Göttinger Studenten Anette, Manik und Natalie bilden zusammen mit ihrem vierten Mann Ahmed das Team um „ConquerBabel“. „Wir wollen alle in die Entwicklungshilfe und beschäftigen uns in unserem Studiengang „Developement Economics“ viel mit solchen Problemen. Also haben wir uns irgendwann zusammen getan. Wir verfolgten die Idee, dass wir uns in der Flüchtlingsarbeit engagieren wollen und sehen das Hauptproblem darin, dass diese hier ankommen, einen unsicheren Status haben und erst nach Monaten die offiziellen Deutschkurse beginnen. Dadurch wird eine Menge Zeit verschwendet, in denen sie keine Hilfe bekommen“, erklärt Anette. Angefangen hat die Arbeit damit, einen Dolmetscherpool aufzubauen. Dass Ahmed aus Ägypten kommt und somit die arabische Sprache abdeckt, ist für die Gruppe von Vorteil. Offiziell unterstützt wurden sie anfangs vom Lampedusa-Bündnis, einem Zusammenschluss verschiedener politischer Gruppen und Einzelpersonen mit dem Schwerpunkt Asylpolitik, wie die „Grüne Jugend“, „Ak Asyl“ oder „Fairbleib“. Sie haben der neuen Organisation einen groben Überblick verschafft, wo genau Handlungsbedarf in Göttingen besteht und stellten erste Kontakte her. So zum Beispiel zum Migrationszentrum, der Stadt sowie der Migrationsbeauftragten der Universität Freiburg. Dort schloss Anette ihren Bachelorstudiengang ab.
Problem: Deutschkurs
Bevor die Gruppe um Anette aber gemerkt hat, dass die Deutschkurse das Hauptproblem der Flüchtlinge sind, unterstützten sie die Neuankömmlinge bei administrativen Aufgaben wie zum Beispiel beim Gang zum Arzt. Vor knapp zwei Monaten starteten dann die Deutschkurse, die von drei „wundervollen Lehrerinnen geleitet werden, die das Zertifikat für DaF (Deutsch als Fremdsprache) besitzen“, schwärmt Anette. Ganz neu sind Deutschkurse für Frauen und Kinder. Sie berichtet aber auch darüber, dass die Flüchtlinge teilweise gar nicht zum Deutschunterricht erscheinen oder sich nicht rechtzeitig abmelden. „Für sie ist der Deutschkurs zuerst einmal einfach nicht wichtig, sie sind lediglich froh, ein neues Leben beginnen zu können. Man darf das dann nicht persönlich nehmen“, bringt Anette ein. Sie nimmt einen Schluck von ihrem Kaffee. Für genau solche Fälle hinterlegen alle „Neuen“ Handynummern, unter denen sie zu erreichen sind. So ist eine gewisse Kontrolle von Seiten des Organisationsteam und der schnelle Informationsaustausch gewährleistet. „ConquerBabel“ sorgt allerdings nicht nur dafür, dass die Flüchtlinge in der deutschen Sprache geschult werden, sondern engagiert sich für eine Reihe verschiedenster Projekte. So zum Beispiel das Sammeln von Kleidern, einem Dolmetscherservice auf unterschiedlichen Veranstaltungen, einem Buddy-System, bei dem jedem Student ein Flüchtling an die Hand gegeben wird, um diesen sozial zu integrieren. Zukünftig ist auch geplant eine Betreuung für die Kinder der Flüchtlinge zu schaffen, da es an dieser bislang noch mangele und ihnen schlichtweg langweilig sei. Bemerkenswert ist dabei, dass ConquerBabel versucht, ein ganzheitliches Angebot rund um die Bedürfnisse der Flüchtlinge zu „stricken“, was für eine ehrenamtlich tätige und bislang noch ungeförderte Organisation keine Selbstverständlichkeit darstellt.
„Angeeckt wird immer mal“
Anette berichtet aber auch von Sticheleien zwischen den Kulturen – dem viel genannten „Culture Clash“. Die kleinen interkulturellen Konflikte können aber immer schnell gelöst werden. Im Endeffekt verbindet alle das Gleiche: die Flucht. „Gleichzeitig ist es das Positive an der Arbeit mit Flüchtlingen, dass man den interkulturellen Austausch trainiert. Das sind vorwiegend Dinge, über die man nicht nachdenkt, wie zum Beispiel was als höflich und unhöflich in anderen Kulturen gilt. Man bekommt eine andere Perspektive vom Flüchtlingsproblem.
Wahrgenommen
Die „Köpfe“ von ConquerBabel sind generell mit ihrer Arbeit zufrieden: sie trägt erste Früchte und viele Göttinger nehmen an den öffentlichen Veranstaltungen teil. So sitzen wir nicht nur mit Flüchtlingen, Anette, Manik und Natalie an einem Tisch, sondern im Laufe des Abends gesellen sich auch einige Göttinger dazu. Generell müsse aber noch viel stärker auf die Thematik aufmerksam gemacht werden, so die Meinung der Gruppe. „Nächstes Mal aber muss ich euch unbedingt Ajaz vorstellen. Der ist ein Flüchtling aus Kashmir und kann euch eine Menge berichten. Seine Flüchtlingsgeschichte ist besonders spannend“, schließt Anette das Gespräch. Sie zieht ein letztes Mal an der Zigarette, bevor sie diese ausdrückt. Wir stehen auf, gehen wieder rein zu den anderen – eine weitere Runde „Phase 10“ spielen.