Bei der Record Release Party lauschen die Besucher gemeinsam der neuesten "Drei Fragezeichen" Folge. Foto: lmb

Bei der Record Release Party der Hörspielreihe „Die drei ???“ lauschen die Besucher gemeinsam der aktuellen Folge. Dabei erleben sie Oliver Rohrbeck, Sprecher der Reihe, in Aktion, können gemeinsam mit ihm auf der Bühne stehen und bei einem „Drei ???“ Hörspiel mitsprechen.

Göttingen/Hannover. Das Licht ist dämmrig, der schwarze Vorhang hinter der Bühne strahlt in den Farben des Abends: weiß, rot, blau. Ein Mann kommt auf die Bühne, ganz in schwarz gekleidet, etwas untersetzt und mit blank polierter Glatze. Es ist Oliver Rohrbeck. Und dann setzt der Applaus ein.
Etwa 700 Menschen haben sich heute Abend versammelt. Sie alle verbindet eins: Ihre Begeisterung für das Hörspiele-Hören. Genauer gesagt, für die Hörspiele der „Drei Fragezeichen“. Vor 40 Jahren sind Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews in die Kinderzimmer in Deutschland und in der ganzen Welt eingezogen und nehmen die Zuhörer in jeder ihrer Folgen mit in die Welt der Detektivabenteuer. Heikedine Körting adaptierte die ursprüngliche Kinderbuchreihe 1979 als Hörspiel, woraus sich die erfolgreichste Hörspielreihe der Welt entwickelte. Über 46 Millionen Tonträger verkaufte die Reihe weltweit, rund 1,5 Millionen im Jahr. Seit einigen Jahren veranstalten die Sprecher und Produzenten regelmäßige „Schlafseminare“, wie Oliver Rohrbeck die Record Release Party witzelnd bezeichnet, und präsentieren das neueste Abenteuer exklusiv einigen hundert Fans. An diesem Abend hat mit „Die Legende der Gaukler“ die 198. Folge Premiere. Dabei plaudert Rohrbeck, der dem ersten Detektiv Justus Jonas seit 40 Jahren seine Stimme leiht und der Figur Leben einhaucht, auch ein bisschen aus dem Nähkästchen. Ihm zufolge werden die Folgen in einer intensiven Arbeitsphase von zwei bis drei Tagen etwa ein halbes Jahr vor der Veröffentlichung aufgenommen. Meist werden mehrere Episoden am Stück aufgezeichnet, wobei die Aufnahmen der einzelnen Teile häufig durcheinander erfolgt und nicht in der Reihenfolge, wie sie später im fertigen Hörspiel zu hören sind. Noch in diesem Jahr soll die große Jubiläumsfolge erscheinen. Die 200. Folge trägt den Titel „Feuriges Auge“, die Tickets zur Erscheinungsparty waren schnell vergriffen.

Beim gemeinsamen Hören nimmt Oliver Rohrbeck auf der Bühne Platz.
Foto: Lisa Marie Bohlander

„Deutschland ist das Hörspielland schlechthin“, sagt Sascha Prinz, Medienpädagoge aus Göttingen. Dabei sei das Hörspiel hören stark ritualisiert, beispielsweise jeden Abend zum Einschlafen. Hörspiele sind seinen Angaben zufolge relativ günstig und überall erhältlich, ob in der Drogerie oder an der Tankstelle. Für Kinder ist es das erste Medium, dass sie selber bedienen dürfen, und der Kassetten- oder CD-Spieler ist dabei einfach zu handhaben. Eltern vertrauen häufig dem Hörspiel, da es ein eingegrenztes Medium ohne Werbung sei. Das Zuhören sei Sascha Prinz zufolge perfekt zum Abschalten, und bei den Hör-Erlebnissen sei oft auch ein emotionaler Aspekt dabei. „Das wollen sich viele bewahren“, sagt Prinz. Durch das Hören könne man sich intensiv in die Handlung hineinversetzen, was ein Grund für die große Beliebtheit von Hörspielen sei.

„Ich wollte mein Bild von den drei Detektiven im Kopf behalten“

Dennis ist ein eingefleischter Fan der Drei Fragezeichen. Er entdeckte die Hörspiele als Kind und lauscht immer noch regelmäßig den Abenteuern der drei Jungs aus Kalifornien. „Aktuell höre ich die Drei Fragezeichen aus Zeitgründen eigentlich nur abends im Bett zum Einschlafen“, sagt er. Als Kind habe er die Kassetten fast täglich gehört und verregnete Wochenenden vor dem Kassettenrekorder verbracht. In Kontakt mit den Drei Fragezeichen kam Dennis als Kind durch seine Tante, als er sich nach einem Kinobesuch in einem Elektro-Geschäft noch eine Kassette aussuchen durfte. Ohne dass er bis dahin von der Serie gehört hatte, fiel seine Wahl auf den „Teufelsberg“. „Ich denke mal im Nachhinein, dass ich das Cover einfach sehr ansprechend fand“, sagt Dennis zu seiner eher willkürlichen Wahl. Das war der Beginn einer großen Sammelleidenschaft, denn heute hat der 41-Jährige alle Folgen auf CD und auf Kassette. Die Strategie der Drei Fragezeichen, auf Kult und alte Hörspiel-Hasen als potentielle Konsumenten zu setzen, scheint also voll aufzugehen. Liveauftritte der Drei Fragezeichen hat Dennis aber noch nie besucht. „Ich wollte die drei Fragezeichen nie live sehen, da ich mein Bild von den jungen Detektiven in meinem Kopf behalten wollte“, sagt er dazu. Schließlich sind die Sprecher heute über 50 Jahre alt und können die alterslosen Jugendlichen nur noch spielen. Da Dennis letztes Jahr zu Weihnachten Karten für die neue Live-Show geschenkt bekam, lassen sich seine Vorsätze nun wohl nicht mehr aufrecht erhalten.

Geräusche-Machen erlaubt

In Hannover klingen die ersten Töne der Titelmusik aus den Boxen. Die Zuhörer lauschen gebannt den neuesten Erlebnissen der jugendlichen Detektive mit den nicht mehr so jugendlichen Sprechern. Auch in dieser Folge erklingen vertraute Geräusche wie die Kreissäge und Hammerschläge auf dem Schrottplatz. Die Übergabe der Visitenkarte, ein fester Bestandteil jeder Folge, löst im Publikum ein leises Raunen und vereinzelte Jubelrufe und Beifallsbekundungen aus. Justus hochgestochene Akademikersprache und die Korrektur des Begriffs „Schrottplatz“ – schließlich handelt es sich um ein Gebrauchtwagencenter – dürfen auch nicht fehlen. Und als Inspektor Cotta am Tatort auftaucht, ist er mal wieder genervt, dass die Drei Fragezeichen vor ihm angekommen sind und wundert sich, wie ihnen das gelungen ist. Das Publikum lacht verhalten auf, als Peter sich den flüchtenden Bösewicht schnappen will. Das ist schließlich auch ein fester Bestandteil vieler Folgen. Geräusche wie kratzender Filzstift auf Papier, Zeitungsgeraschel und das scharfe Aufknallen des Telefons auf die Gabel nach einem Ferngespräch katapultieren die Zuhörer direkt in die Zentrale der Drei Detektive. Oliver Rohrbeck erklärt, dass diese Geräusche die Produktion der Hörspiele besonders machen. Bei den Aufnahmen für die Drei Fragezeichen verlange die Produzentin Körting von den Sprechern nämlich richtiges Spielen und Schauspielern, anders als beispielsweise bei Hörspielen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dort wird darauf geachtet, dass bei der Stimmenaufnahme für Hörspiele keinerlei andere Geräusche als die Stimme mit aufgezeichnet werden. Charakteristische Geräusche werden dort erst hinterher bei der Produktion hineingeschnitten. Diese Geräusche selbst bei der Aufnahme zu produzieren, sei bei Körting aber ausdrücklich erwünscht.

„Es ist echt krass, wenn du siehst, dass 15 000 Leute kommen, um ein Hörspiel zu hören“

Saskia erinnert sich noch an ihren ersten Besuch bei einer Liveshow der Drei Fragezeichen vor 15 Jahren. „Damals war es echt klein“, sagt sie. Dass das gemeinsame Hörspiel-Hören von damals sich in große Events in Arena-füllenden Dimensionen entwickelt hat, sieht sie skeptisch. „Es ist echt krass, wenn du siehst, dass 15 000 Leute kommen, um ein Hörspiel zu hören“, sagt Saskia. Sie sieht die Gründe dafür teilweise auch im Alter der Sprecher. „Wer weiß, ob da noch eine Tour kommt“, sagt sie zum Andrang auf die Tickets für die kommende Livetour.
Saskia hat 2003 ihre Magisterarbeit zum Thema der Drei Fragezeichen geschrieben. Sie studierte Germanistik und Philosophie. Ursprünglich wollte sie über das Werk „Nathan der Weise“ ein klassisches Thema wählen. Doch dann hörte sie die 99. Folge der Drei Fragezeichen und rutschte in Fankreise. Daraufhin war ihre Begeisterung für die Hörspielreihe geweckt und schlug ihrem Dozenten vor, über die Drei Fragezeichen und das Medium Hörspiel zu schreiben. Der Dozent war begeistert von dieser Abwechslung. „Das hat total Spaß gemacht“, sagt sie zu der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Drei Fragezeichen. Damals, ungefähr zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der 100. Folge, brach ein regelrechter Hype um die Hörspielreihe aus. Bis dahin sahen Forscher das Hörspiel und die Drei Fragezeichen jedoch nicht als Gegenstand ihrer Untersuchungen an, sodass Saskia nicht an Vorgaben gebunden war und frei arbeiten konnte. Sie beschreibt, dass die Aufmerksamkeit, die die Hörspielreihe eine Zeit lang genoss, danach auch wieder abklang. Das Hören der Kassetten und CDs sieht Saskia als das Zelebrieren von Dingen aus der Kindheit. Die Liveauftritte heben dies auf ein anderes Level des gemeinsamen Erlebens. Sie bewirken, „dass du dich zusammenschließt mit anderen, und alle haben die gleichen Erinnerungen.“ Saskia arbeitete eine Zeit lang als Hörspielredakteurin und ist heute Redakteurin beim Radiosender „Deutschlandfunk“. Zu dem enormen Erfolg der Hörspielreihe trägt ihrer Meinung nach beispielsweise die Themenwahl mit Tabubrüchen bei. In Folge 101 geht es erstmals um Transsexualität, in einer anderen Folge raucht Justus eine Zigarette. Das war in Kinderhörspielen risikoreich.

„Die Drei ??? und das Spiel ohne Regeln“

Beim gemeinsamen Hören in Hannover dröhnt immer noch das neueste Abenteuer der Drei Fragzeichen aus den großen Boxen über der Bühne. 70 Minuten lauschen die Besucher der Folge in glasklarem Sound. Die Stimmen zaubern Bilder mit ihren Erzählungen und Handlungen in die Köpfe der Zuhörer. Möwengeschrei und Wellengeplätscher am Strand, das Gruscheln der Bewegungen, das Ticken des Weckers in der Zentrale und sanfte Hintergrundmusik, wenn der Erzähler spricht, ergeben eine gute Mischung. Zwischen den einzelnen Episoden erklingt immer wieder rhythmische Musik, zu der einige Zuhörer im Publikum mitwippen. Und eingeschlafen ist nach der Folge auch niemand.
Oliver Rohrbeck, der während des gemeinsamen Lauschens auf einem breiten, samtig-grünen Sessel auf der Bühne Platz genommen hatte, springt beim Erklingen des Abspanns auf und greift zum Mikrofon. Jetzt haben die Zuschauer selbst die Möglichkeit, bei einem Fall der Drei Fragezeichen mitzumachen. „Die Drei ??? und das Spiel ohne Regeln“, geschrieben von John Beckmann, heißt das aktuelle Mitmach-Hörspiel. Heute nehmen die wahllos aus dem Publikum ausgewählten Sprecher die fünfte Folge auf, das letzte Hörspiel dieser Art hatte 30 Folgen. Und kaum fragt Rohrbeck nach Freiwilligen, drei Frauen und vier Männern, erheben sich unzählige Hände. Diese Chance will sich niemand entgehen lassen. Im vorderen Bereich springen zwei junge Frauen wild auf und ab und reißen die Hände in die Luft. „Hier, hier!“, rufen sie laut. Eine der beiden hat Glück, sie darf zu Rohrbeck auf die Bühne. Auch aus dem hinteren Bereich wählt er der Fairness halber einige Freiwillige aus. 25 Minuten lang verschwindet die aufgeregte Truppe hinter die Bühne, in der sich die restlichen Zuschauer an der Bar mit Getränken und Snacks eindecken und frische Luft schnappen können. In dieser Zeit verteilt Rohrbeck die Rollen und gibt Anweisungen und Tipps. Zurück auf der Bühne drückt er erstmal seine Wertschätzung für die Fans aus. „Das ist nur möglich, weil ihr uns das ermöglicht“, sagt er zu den Fans. Nach einer kurzen Inhaltsangabe, was bisher geschah, ertönt die alte Titelmelodie des Hörspiels, die bis zur Folge 124 jedes Hörspiel der Reihe einläutete.

Beim Mitmach-Hörspiel können Freiwillige mit Rohrbeck auf der Bühne stehen.
Foto: Lisa Marie Bohlander

Die Sprecher stehen stolz hinter den Mikrofonen und spielen ihre Rollen teilweise übertrieben. Dazu sagt Rohrbeck am Ende, dass er den Sprechern genau diese Anweisung gab. „Wenn es euch übertrieben vorkommt, macht ihr es genau richtig“, meint er. Da formt ein Sprecher mit den Fingern eine Pistole, um seine Mitsprecher zu bedrohen. Und ein anderer hält seinen gespreizten Daumen und kleinen Finger ans Ohr, um ein Telefon darzustellen. Sie gehen auf der Stelle, ducken sich, sehen sich vorsichtig um. Oliver Rohrbeck setzt mit groß ausholenden Handbewegungen und Gestiken noch eine Schippe drauf und mischt nebenbei locker am Mischpult. Und auch ein Geräusch produziert er direkt auf der Bühne – er reibt zwei Kirschkernkissen aneinander, um Schritte auf Kies nachzuahmen.

Der Medienpädagoge Sascha Prinz vermittelt an der Uni regelmäßig Studierenden die Grundlagen der Hörspielproduktion. In seinem Kurs können sich die Studierenden wie bei Rohrbeck auf der Bühne selbst ausprobieren und ein eigenes Hörspiel kreieren. „Das ist immer noch mein am besten bewerteter Kurs“, sagt Prinz. Hier kommen seinen Angaben zufolge zur Hälfte Studierende zusammen, die lediglich die Credits benötigen. Die andere Hälfte aber besteht aus Hörspielfreunden, die heute noch gerne Hörspiele hören und sich selbst daran ausprobieren wollen. Die Studierenden kommen dabei aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen, sodass ein gemeinsamer Nenner beim Versuch, die Wissenschaft mit reinzubringen, oft schwer zu finden ist. Außerdem verlieren sich die Studierenden häufig in den Themen, über die sie einfach zu viel wissen und zu viele Informationen und Details darüber in den Hörspielen unterbringen möchten.

„Je einfacher der Plot, desto verständlicher das Hörspiel“

Die Studierenden können ihrer Phantasie bei der Themenwahl freien Lauf lassen. Orientieren sollen sie sich aber am dramaturgischen Aufbau mit einer Einführung, einem Konflikt, der sich zuspitzt, und der Auflösung. Auch wenn dabei nicht immer wissenschaftliche Themen im Fokus stehen, vermittelt der Kurs wichtige Sozialkompetenzen. Denn bei den Gruppenprojekten, in denen ein Hörspiel produziert wird, ist die Aufgabenteilung, Durchsetzungsvermögen und das Finden von Kompromissen oft entscheidend für das Gelingen der Produktion. Die Entwicklung eines Hörspiels fordert auch gestalterische und technische Kompetenzen. Schließlich ist das Hörspiel, dass seine Anfänge beim Rundfunk hat, ein Medium, bei dem das Bild fehle, sagt Sascha, der seine Karriere als Medienpädagoge beim Offenen Kanal Kassel beim Medium Film begann. Die Studierenden müssen sich also mit der Frage auseinandersetzen, wie man ohne visuelle Unterstützung am besten Informationen vermittelt. „Je einfacher der Plot, desto verständlicher“, rät Prinz den Anfängern.

Maren war auch bei der Party und teilte ihre Erlebnisse auf Facebook.

Der Abend in Hannover neigt sich dem Ende. Das Publikum feiert die Sprecher des Mitmach-Hörspiels, die stolz und über beide Ohren grinsend ihre persönliche Autogrammstunde mit Oliver Rohrbeck auf der Bühne genießen. Für alle anderen heißt es: Draußen im Eingangsbereich in die Schlange einreihen und warten. Doch Rohrbeck holt sich erstmal ein großes Glas Wein, bevor es mit dem Unterschreiben und Geknipse losgeht. Nach einer Dreiviertelstunde ist auch der letzte Fan mit Autogramm und Foto versorgt. Nun müssen sich die Fans bis zur nächsten Record Release Party im Mai gedulden. Dann feiert Oliver Rohrbeck die Premiere der 199. Folge bei Lübeck.

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