Am Holtenser Berg wird ehemals Obdachlosen geholfen wieder in die Mitte der Gesellschaft zu finden.

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Die Menschen zum Bleiben zu verführen. So fasst Diplompsychologe Lutz Mühe seine Aufgabe zusammen. Er ist der Leiter der stationären Wohnungslosenhilfe am Holtenser Berg, eine Außenstelle der Diakonischen Gesellschaft Wohnen und Beraten. Hilfe bieten sie jenen an, die dem Leben in der Obdachlosigkeit entkommen wollen, die „ festmachen wollen“, wie es im Milieu heißt. Deutschlandweit ist das Haus am Holtenser Berg mittlerweile so bekannt, dass sich die Hälfte der Betroffenen selbst meldet.

Flucht aus dem Leben

Nach Gesetzesvorgabe soll zuerst ambulante vor stationärer Hilfe angeboten werden. Entsprechend hat, wer hier einen Platz bekommt, schon einige Jahre auf der Straße hinter sich. Zumeist Männer, aber auch einige Frauen. Sie kommen aus allen Schichten, alle Bildungsstände sind vertreten. Manche waren verheiratet, hatten mal eine Familie, einen Job; andere haben schon ihre Jugend in Heimen verbracht und auch danach nie wirklich Fuß in einem „normalen“ Leben fassen können. Doch nach Mühe haben ihre Hintergründe ein gemeinsames Merkmal, so unterschiedlich sie auch erscheinen mögen: Wenn es Probleme gibt, gehen sie lieber, statt sich ihnen zu stellen. Dadurch entsteht eine Unruhe und Rastlosigkeit, denn wenn sie sich irgendwo anmelden, kommen all die Probleme, weswegen sie einmal ursprünglich auf die Straße gegangen, sind wieder auf sie zu. Da kommen Schulden, da kommen Mietforderungen, und wenn das Ganze ihnen zu viel ist, verschwinden sie wieder.

Kein Heim der langen Flure

hier greift Mühes Ansatz: Statt einem klassischem Obdachlosenheim mit „langen Fluren“, Gemeinschaftstoiletten und Gemeinschaftsverpflegung mit all dem Konfliktpotenzial, das dies mit sich bringt, setzt er und sein Team auf Selbstverpflegung,Portrait - Obdachlosenhilfe (4) auf Einzelapartments mit eigenem Bad und eigener Küchenzeile. Wie Miniaturreihenhäuschen sehen diese aus, die inmitten der mehrstöckigen Mietshäuser stehen. „Das ist keine Massenunterkunft, aus der man einfach abhaut“ – denn hier hätte man einfach auch was zu verlieren. Darüber hinaus spielen auch zwischenmenschliche Beziehungen eine große Rolle dabei, zum Bleiben verleitet zu werden; gerade für diese Menschen, die zumeist weitgehend bindungslos, entwurzelt sind. Die Anzahl der Bewohner ist mit 31 Plätzen überschaubar. Es gibt Gemeinschaftsräume, in denen Aktivitäten angeboten werden;Portrait - Obdachlosenhilfe (2) tagsüber sind stets SozialarbeiterInnen vor Ort, und nachts eine studentische Bereitschaftskraft, die bei kleineren Anliegen wie verbummelten Hausschlüssel selbst handelt, oder im Notfall auch einen Mitarbeiter anrufen kann.

Über Krisen kommen wir ins Geschäft“

Niemanden soll die Sozialarbeit aufgenötigt werden. Mühe: „Wenn sie Probleme haben, kommen sie uns.“ Spätestens bei der wöchentlichen GeldauPortrait - Obdachlosenhilfe (3)sgabe kommt man ins Gespräch. Dabei geht es neben der Beziehungsarbeit und dem Konfliktmanagement auch einfach darum, den Menschen schlicht zu ihrem Recht zu verhelfen – sei es sich wieder bei einer Krankenkasse anzumelden, Harz 4 zu beantragen, oder gar Rentenansprüche geltend zu machen. Ziel der Hilfe ist letztendlich Einzug in eine eigene Wohnung. Die Wohnsituation in der Einrichtung dient dabei quasi als Trockenübung – und auch nach dem Auszug stehen noch mal 2 Mitarbeiterinnen bereit, um den Übergang nicht allzu abrupt zu gestalten. Bei manchen Hilfsbedürftigen ist es jedoch schon ein Erfolg, wenn sich ihre Umstände nicht noch weiter verschlimmern. Auch das ist Aufgabe der Wohnungslosenhilfe.

Wir waren hier nicht immer willkommen

Dies alles erzählt Mühe nicht ganz ohne Stolz – zumal er die Einrichtung mit den Erfahrungen aus 10 Jahren Obdachlosenhilfe vom anfänglichen Konzept bis heute gemanagt und mitentwickelt hat. 1999 fingen sie  mit 14 der kleinen Apartments an, die hier als Sozialwohnungen errichtet worden waren. Die Anwohner waren zunächst wenig begeistert von der Idee, hier auch noch Obdachlose aus der ganzen Bundesrepublik anzusiedeln, zumal die Sozialwohnungen ohnehin schon als sozialer Brennpunkt wahrgenommen wurden. Es wurde sogar eine Bürgerinitiative gegen die Pläne ins Leben gerufen. Auch die Stadt stand dem Vorhaben skeptisch gegenüber; dies änderte sich jedoch, „da wir für die Stadt zum Nulltarif einen ehemals sozialen Brennpunkt in eine strukturelle Hilfeform umgewandelt haben, und alle Anlieger, die hier wohnen, hatten plötzlich Ansprechpartner, weil wir hier ja rund um die Uhr da sind.“ Mit der Zeit wurden nach und nach weitere Wohnungen übernommen. Die Einrichtung kooperiert mittlerweile mit der örtlichen Kirchengemeinde, die anfänglichen Zweifel sind verflogen – nicht zuletzt aufgrund der Bewohner selber, wie Mühe betont. Trotzdem müsse sich die Einrichtung stets weiter entwickeln um auf neue Trends in der Armutsbevölkerung zu reagieren um nicht Gefahr zu laufen zu einem „ anachronistischen Dinosaurier“ zu werden.

Portrait - Obdachlosenhilfe (1)

 

 

 

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