Bioland-Gärtnerei Rote Rübe - Schwarzer Rettich

Es ist ein warmer Freitag im Juni. Die Sonne strahlt mit dem blauen Himmel um die Wette. Das Wochenende steht vor der Tür, es ist ein Ausflug mit den Kindern geplant. Nach der wöchentlichen Gärtnerbesprechung geht es noch schnell in den Rhabarber, bevor es Zeit ist, die Kinder aus dem Kindergarten abzuholen. Stefan* hat um 9 Uhr in der Gärtnerei angefangen, dann ist es noch nicht so warm und die Arbeit fällt leichter. Alle zwei Wochen ist das so, wenn er die Kinder vorher noch in den Kindergarten bringt. In einer dunkelgrünen, hochgekrempelten Engelbert & Strauss Hose, der man die viele Arbeit in der Gärtnerei ansieht, befreit er die jungen Rhabarberpflanzen von der Begleitvegetation. Ab und zu nimmt man die Rufe eines Rotmilanpaares wahr, das die Thermik über ihm nutzt, um Runde für Runde höher aufzusteigen.

Stefan mit der Hacke im Rhabarber. In der Gärtnerei wird ganz bewusst auf chemischen Pflanzenschutz verzichtet (Foto: Karina Neitzel)

In Deutschland gibt es über 266.000 landwirtschaftliche Betriebe. 12% der Betriebe sind im ökologischen Landbau tätig (Statista, 2020). Einer davon ist die Bioland-Gärtnerei Rote Rübe – Schwarzer Rettich. Hier arbeitet Stefan nun schon seit neun Jahren. Zu Beginn seiner Lehre zum Gärtner war es ihm wichtig, einen Beruf zu finden, der auch nach einer Überwindung des Kapitalismus noch Sinn ergibt. Er wünscht sich eine bedürfnisorientiertere Welt. Nicht die rein finanziellen Gewinne, sondern die tatsächlichen Bedürfnisse einer Gesellschaft sollen darin sichtbar werden und Wertschätzung erfahren. Zum Teil sorgt auch die noch andauernde Covid-19 Pandemie für solch ein Sichtbar werden wirklich bedeutender Bedürfnisse. Diesen zu Beginn seiner Lehre gesuchten Sinn hat Stefan beim Gärtnern gefunden. Man spürt förmlich die Zufriedenheit, wenn er in sich ruhend das Unkraut im Rhabarber hackt

Die körperliche Arbeit an der frischen Luft und der intensive Bezug zur Umwelt waren letztendlich das, was ihn vor vielen Jahren aus der Stadt auf’s Land gezogen hat. Er hat lange in der Stadt gelebt und ist dort auch aufgewachsen, aber die Natur zu erleben und dem Wetter permanent ausgesetzt zu sein, hat ihm gefehlt – der ausgewaschene rote Schriftzug auf seinem dunkelblauen T-Shirt gehört dann dazu. Gefehlt hat vielleicht auch das Rauschen der Bäume, wenn der Wind durch das Laub weht. Oder die unterschiedlichsten Lieder, die die Vögel immer wieder anstimmen, dank denen es einem vorkommt, als wäre man an diesem Ort genau richtig, an dem einem alles so friedlich vorkommt. Obwohl es in Zeiten der Covid-19 Pandemie genügend Gründe gibt, die Welt nicht als solche wahrzunehmen.

Stefan ist es wichtig, gerade in diesen Zeiten Lebensmittel herzustellen, bei deren Produktion die Umwelt so wenig wie möglich belastet wird. Schon früh hat er sich bei seinem Engagement im Umweltschutz für die großen politischen Themen eingesetzt. In einer Ortsgruppe von Greenpeace oder auch bei der Teilnahme an Protesten gegen eine Energiegewinnung durch Atomkraft und Kohleverstromung setzt er sich für eine bessere Welt ein. Außerdem vertritt er gemeinsam mit Gleichgesinnten die Auffassung, dass die Pflanze aus dem Boden heraus zu ernähren ist. Letztendlich komme dies auch unserer Gesundheit und der unserer Kinder zu Gute. Deswegen hat Stefan sich nach einer Zeit auf einem konventionellen landwirtschaftlichen Betrieb ganz bewusst für die Bioland-Gärtnerei in Rittmarshausen entschieden. Es ist der ökologische Weg, mit dem Lebensmittel am umweltschonendsten produziert werden können.
Hinzukommt, dass er ungern auf großen Betrieben arbeitet. Die Rote Rübe hingegen hat die perfekte Größe. Mit seinen Kollegen*innen baut er die unterschiedlichsten Sorten an. Diese vielfältige Arbeit schätzt er besonders. Von diversen Salaten, über Kohlrabi und Tomaten, bis hin zu Auberginen und Melonen ist alles dabei. Spezialisiert haben sie sich auf Kräuter: Das weiß auch der Großhandel, merkt er mit einem Augenzwinkern an. „In den Medis zu jäten ist toll. Es duftet herrlich intensiv nach Rosmarin und Thymian. Wenn ich anschließend nach Hause komme, wissen alle sofort, was ich als Letztes gemacht habe, so stark duftet es“, fügt Stefan hinzu und muss schmunzeln. 

Bei wärmeren Temperaturen wie an diesem Tag duften die Medis (mediterranen Kräuter) herrlich (Foto: Karina Neitzel)

Obwohl er im Arbeitsalltag wenig direkte Auswirkungen der Covid-19 Pandemie wahrnimmt, so fallen ihm doch einige Dinge ein, die schwerer geworden sind, während er einen kurzen Blick zu dem Rotmilan wirft. Er scheint Beute entdeckt zu haben, denn er befindet sich im Sturzflug. Mit Fortschreiten der Pandemie erfordert die Arbeitskräfteplanung deutlich mehr Flexibilität. Er ist nicht der einzige in der Gärtnerei mit Familie und für viele ist die Sache mit der Kinderbetreuung schwierig. Zu allem Überfluss hat nun auch die Zeit der Überstunden begonnen. Stefan arbeitet je nach Saison unterschiedlich viel. „Das liegt einfach daran, dass nun viel geerntet wird“, versucht er die Umstände zu relativieren, auch wenn es bedeutet, dass die Familie in diesen Zeiten öfter zu kurz kommt. Zur Erntehochsaison wird gearbeitet, solange es das Tageslicht zulässt – das können schonmal knapp zehn Stunden körperliche Arbeit sein.
Ihm ist auch aufgefallen, dass der Bio-Lieferservice Lotta Karotta bei der Gärtnerei deutlich mehr bestellt. Zum einen ist das gut, weil alles, was angebaut wurde, auch verkauft wird. Zum anderen hat der ursprünglich geplante Salat bei weitem nicht ausgereicht und die ausgepflanzte Menge musste aufgrund des gestiegenen Bedarfs deutlich erhöht werden. „Durch die eigene Jungpflanzenanzucht ist es uns aber möglich, die Mengen nach oben zu korrigieren“, merkt Stefan an, während er gerade dabei ist, die kleinen Pflänzchen mit einem leuchtend gelben Gartenschlauch zu wässern, die dank der guten Pflege die Köpfe noch nicht hängen lassen.

Die Jungpflanzenanzucht der Gärtnerei. Schritt für Schritt werden die jungen Pflanzen an die unterschiedlichen Wetterbedingungen gewöhnt (Foto: Karina Neitzel)

Er ist grundsätzlich der Auffassung, dass die Gärtnerei gut gewappnet ist gegenüber äußeren Einflüssen. Nicht zuletzt, weil eine regionale Lebensmittelproduktion krisenfester ist. Er beobachtet zudem, dass die Covid-19 Pandemie mehr Wertschätzung für regionale Produkte generiert. Begeistert erwähnt er die Ideologie der Solidarischen Landwirtschaft, die sich immer mehr etabliert: „In Deutschland haben wir keine Ernährungssouverenität“. Die Solidarische Landwirtschaft möchte die regionale Lebensmittelproduktion in die eigene Hand nehmen. Auch Stefan möchte seinen Beitrag zu mehr Ernährungssouverenität leisten, indem er sich voller Hingabe und aus tiefster Überzeugung dem Umweltschutz und seiner Arbeit in der Gärtnerei widmet. 

Ungeachtet der Euphorie, die in ihm steckt, macht sich in Zeiten wie diesen auch Frustration breit. Er hat das Gefühl, dass dem Beruf des Gärtners zwar eine größere gesellschaftliche Wertschätzung entgegengebracht wird, seit der Gemüsebau in der Corona-Krise als systemrelevant eingestuft wurde. „Aber es wäre auch schön, wenn sich diese Wertschätzung im Preis wiederspiegeln würde“, wendet er ein, während er etwas resigniert zu Boden schaut. Die Bezahlung läge knapp über dem Mindestlohn. Wenn die Konsumenten*innen also nicht bereit sind, mehr zu zahlen, dann müsse der Staat eine Lösung finden. Was so eine Lösung betrifft, hat Stefan sehr konkrete Vorstellungen: Bedingungsloses Grundeinkommen zur Existenzsicherung oder eine direkt an den Arbeitnehmer fließende Aufstockung des (Mindest-) Lohnes um 5 € pro Stunde für systemrelevante Berufe. Momentan würde ein Großteil der Gemüseproduktion ins Ausland ausgelagert. Doch ist das nachhaltig oder krisenfest? Eine Lösung für eine größere Ernährungssouverenität in unserem Land ist es jedenfalls nicht. 

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