Nora Szász und ihr Kampf um die Rechte der Frau
Als 2017 die Anzeige in die Praxis von Nora Szász flatterte, trifft sie das in einem unerwarteten Moment. Sie hatte zu dem Zeitpunkt bereits davon gehört, dass verschiedene andere Frauenärzt*innen Probleme mit dem Gesetzgeber bekommen haben, doch war sie sich keine Schuld bewusst gewesen. Das Ganze muss ein großes Missverständnis sein.
Aktivistin durch und durch
Heute ist das eine von vielen Stationen in Nora Szász Leben, in der sie dafür eingestanden ist, was sie für richtig hält. Bereits früh hat sie angefangen auf Demonstrationen mit ihrer Schwester zu gehen. Die Themen haben sich seit ihrer Jugend etwas verschoben. Damals ging sie innerhalb der Jugendzentrumsbewegung, zu Friedensdemonstrationen und Anti AKW’s auf die Straße. Heute für die Selbstbestimmung von Frauen. Auch wenn ihre Generation nicht mehr Teil der ‘68er Bewegung war, so hat sie doch noch die Auswüchse dieser miterlebt. „Meine Generation war davon bewegt, dass wir nichts Neues bewegen, sondern Dinge fortgeführt haben, die so spannend waren. Es war viel im Aufbruch und wir haben uns dem Aufbruch angeschlossen“, sagt sie in unserem Interview.
Das Problem mit Paragraf 219a
Als Ärzt*in besteht eine Pflicht der Aufklärung gegenüber der/dem Patient*in. Doch wie soll das geschehen, wenn die Aufklärung zu einem bestimmten Prozedere illegal ist? Der Paragraf 219a des Strafgesetzbuches verbietet jegliche „Werbung“ bezüglich Schwangerschaftsabbrüche. Wo es allerdings Coupons oder Massenrabatt bezüglich solcher angeworbenen Ware geben soll, ist fraglich. Dementsprechend bleibt es auch ein heiß diskutiertes Thema, inwiefern es überhaupt als „Werbung“ bezeichnet werden kann, wenn ein*e Ärzt*in auf ihrer/seiner Webseite erwähnt, dass sie/er Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Über jede andere medizinische Untersuchung und Dienstleistung dürfen Ärzt*innen auf ihren Webseiten oder auf Informationsflyern informieren. Allerdings gibt es wohl keinen anderen Eingriff, der so scharf kritisiert wird in der Gesellschaft. Dass Schwangerschaftsabbrüche grundsätzliche illegal sind in Deutschland nach Paragraf 218 hilft dabei nicht weiter.
In diesem Dilemma fand sich auch Nora Szász und ihre Kollegin Natascha Nicklaus 2017 wieder, als sie die Anzeige in ihrer Gemeinschaftspraxis in den Händen hielten. Da Szász nicht ganz glauben konnte, dass dies wirklich geschieht, rief sie direkt die Staatsanwaltschaft in Kassel an. Daraufhin erfuhr sie, dass die Anzeige von einem „besorgten Bürger“ kam. Dieser sogenannte Bürger ist in der Anti-Abtreibungszene, oder auch „Pro-Life“, kein Unbekannter und führt eine förmliche Hexenjagd auf Ärzt*innenpraxen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Auf ihrer Webseite hatte Szász lediglich unter einem Spiegelstriche erwähnt, dass sie medikamentöse und operative Schwangerschaftsabbrüche durchführe. Heute findet man den besagten Punkt weiterhin auf ihrer Webseite.
Szász hat nicht aufgegeben. „Es war von Anfang an klar, dass wir uns das nicht bieten lassen“, sagt sie entschlossen. Der Staatsanwalt habe wohl vorgeschlagen, dass sie einfach den Satz auf der Webseite streichen sollen und die Anklage würde fallen gelassen werden. So wie es viele Gynäkolog*innen bereits vor ihr gemacht haben. Doch das würde bedeuten, dass sie aktiv dazu beitragen würde, dass Frauen der Zugang zu sicheren Informationen, bezüglich Abtreibungen, erschwert werde. Selbst vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestag hat Szász bereits ausgesagt für das Verfahrens der Reform des Paragrafen 219a. Die Reform ist 2019 gekommen, sie darf es weiterhin auf ihrer Internetseite erwähnen. Inwiefern diese Änderung allerdings etwas verändert hat, bleibt fraglich. Die Informationsfreiheit von Ärzt*innen wird weiterhin massiv eingeschränkt und angezeigt werden auch heute noch welche, die lediglich erwähnen, dass sie Schwangerschaftsbrüche in ihrer Praxis durchführen.
Wie der katholische Glauben beim Kampf gegen Schwangerschaftsabbrüche helfen kann
So paradox dies vielleicht klingen mag, aber ihre Zielstrebigkeit und ihren Willen, etwas unermüdlich durchzuziehen, hat sie durch den katholischen Glauben in ihrer Kindheit erlangt. Durch diesen hat sie die Fähigkeiten erlernt, konsequent an einer Sache zu bleiben und daran zu glauben. Etwas das sicherlich hilft im Kampf gegen das Patriarchat, bei dem für gewöhnlich nur langsam Erfolge verzeichnet werden können.
Religiös wurde sie stark durch ihre Mutter beeinflusst, welche selbst sehr gläubig ist. Doch auch sie weiß, was für lebensbedrohliche Folgen ungewollte Schwangerschaften und kein Zugang zu sicheren Abtreibungen für Frauen bedeuten. Ende der 1950er Jahre arbeitete Szász‘ Mutter als Krankenschwester in einer Frauenklinik in Frankfurt. Dort kamen viele Frauen hin, nachdem sie versucht hatten ihre Schwangerschaften selbstständig zu beenden. Es war die Zeit, in der in West-Deutschland Abtreibungen illegal gewesen sind. Jedoch stoppt ein Verbot keine Abbrüche, lediglich sichere Abbrüche. Was zur Folge hatte, dass Szász‘ Mutter viele Frauen sterben gesehen hat in Folge einer ungewollten Schwangerschaft und dem Versuch diese abzubrechen. Die Erzählungen ihrer Mutter haben Nora Szász geprägt.
Heute ist sie der Meinung, dass nicht nur Paragraf 219a abgeschafft werden sollte, sondern im gleichen Zug auch Paragraf 218. Wenn sie über das Thema spricht, kann man ihre Entschlossenheit in ihren Augen sehen. Sie sagt, sie hofft, dass sie das noch miterleben wird, dass beide Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden und dass es sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung für Frauen in Deutschland gibt.
Ihr katholischer Glauben hat all die Jahre allerdings nicht überlebt. Als Teenagerin fing sie an viele Fragen zu stellen. In der Hoffnung Antworten auf diese zu finden, hat sie ihre Bibel durchgearbeitet. Jedoch hat das nur zu noch mehr Fragen geführt. Sie hat am Rand immer wieder Fragezeichen geschrieben. An Passagen, die ihr unklar waren oder sie das Frauenbild nicht nachvollziehen konnte, welches dort gezeichnet wurde. Auf lange Sicht gesehen war die Beziehung zu Gott also zum Scheitern verurteilt gewesen. Und so wandte sie sich irgendwann der katholischen Kirche ab. Jedoch ihre Ausdauer für eine Sache zu kämpfen, an die sie glaubt, blieb.
Feministische Literatur bildet
Ein weiterer prägender Einfluss aus ihrer Jugend war die Literatur, die sie gelesen hat. „Ich habe mich durch die Pfarrbibliothek durchgelesen, dann habe ich mich durch die Stadtbibliothek durchgelesen und dann eben auch die Schulbibliothek“, berichtet Szász. In der Pfarrbibliothek habe sie mit den zahreichen Angélique-Bänden ihre ersten erotischen Romane gelesen. Doch den größeren Einfluss hatten wohl die Bücher ihrer Schulbibliothek. Sie hatte großes Glück, denn zu der Zeit sollte eine junge neue Lehrerin die Bibliothek neu bestücken. Und so kam es, dass Nora Szász in Berührung mit feministischer Literatur kam. Es war die Hochphase von Alice Schwarzer und Szász hatte die Möglichkeit, ihre Ideen und die vieler anderer großer Feminist*innen zu lesen. Eines dieser Bücher war „Die Scham ist vorbei“ von Anja Meulenbelt. Dadurch hat Nora Szász gelernt, dass die Sexualität sich an uns selbst orientieren sollte und nicht an dem Objekt der Begierde. „So wie du empfindest, so ist es dann auch gut, dass du so empfindest“, sagt sie.
Von der Hebamme zur Gynäkologin
Nach der Schule hat Nora Szász eine Hebammenausbildung in West-Berlin gemacht. Auf die Idee kam sie durch eine Hebamme, die sie beim Jobben neben der Schule kennengelernt hat. Um sich ein bisschen Geld dazu zu verdienen, hat sie in einer nah gelegenen Klinik Nachtdienste gemacht. Heutzutage wäre das nicht mehr so einfach möglich. Damals war das eine gute Möglichkeit, um sich ihr Taschengeld aufzubessern. Bei diesem besagten Nebenjob hat Szász eine Hebamme kennengelernt, die sie „mega“ beeindruckt hat.
Also ist sie nach dem Abitur mit 19 Jahren nach West-Berlin gezogen. Zu dieser Zeit war gerade ein Umbruch im Gange. Ambulante Geburten kamen auf und auch die Hausgeburten stiegen an. Auch eine Kritik an der technisierten Geburt wurde immer lauter. Eine Möglichkeit für Szász sich für etwas stark zu machen und zu kämpfen. Somit schloss sie sich der Initiative für die Gründung des ersten Geburtshauses an. Insgesamt, berichtet sie, herrschte eine sehr solidarische Stimmung unter den Hebammen und engagierten Frauen.
Nach der Ausbildung fing sie an Humanmedizin in West-Berlin zu studieren und schloss ihre Facharztausbildung in Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Kassel ab. Die Frau ist also stets im Mittelpunkt ihres Tuns und Machens. Vielleicht auch ein Grund ,warum sie sich ohne zu zögern während ihres Studiums mit ihren Kommilitoninnen solidarisiert hat und gegen einen Professor der Gynäkologie vorgegangen ist. Dieser soll Studentinnen sexuell belästigt haben und Szász machte sich stark für sie. Dadurch handelte sie sich eine Verleumdungsklage des besagten Professors ein. Doch auch das schüchterte sie nicht ein. Sie sagt, sie „wusste man muss erhobenen Hauptes da durch und sich dem Ganzen stellen“. Der Richter glaubte ihr am Ende zweier Prozesstage, dass sie die Wahrheit sagte, und somit wurde sie frei gesprochen. Allerdings entging der Professor auf Grund einer Reihe (un)glücklicher Zustände einer Strafe.
Der unermüdliche Kampf
Somit waren Gerichtsprozesse nicht ganz neu für Nora Szász als sie 2017 die Anzeige erhielt. Doch so wie während ihrer Studienzeit als auch 2017, war sie nie alleine. „Das wichtigste ist, dass man in dem Engagement nicht alleine ist“, sagt Szász. Der Prozess wurde von einer demonstrierenden Menschenmenge, die sich gegen den Paragrafen 219a laut machten, vor dem Gerichtsgebäude in Kassel verfolgt.
Doch wo Fans sind, sind auch Feinde. Der Mann, der sie angezeigt hat, ist nicht der Einzige, der denkt, dass sie etwas Verbotenes in ihrer Praxis tut. Und gewissermaßen stimmt dies auch, solange der Paragraf 218 weiterhin existiert, der Schwangerschaftsabbrüche illegal macht. Nur in bestimmtes Fällen werden diese nicht strafverfolgt. Das führt dazu, dass auch sie manchmal nicht willkommene Post erhält. In der Regel sind es allerdings häufig belehrende Briefe. Personen, die sie überzeugen möchten, dass sie aufhören sollte, mit dem was sie tut. Häufig mit einer christlichen Feder geschrieben. In ihre Twitter Kommentare schaut sie gar nicht erst rein.
Auszeit von dem ganzen Trubel kann sie in der Schweiz nehmen. Dort lebt ihr Ehemann. Sie führen eine Fernehe. Eine stinknormale Ehe, mit Reihenhaus in der Vorstadt würde vermutlich auch nicht zu Nora Szász passen. Ihr Leben ist so aufregend und in vielerlei Hinsicht unkonventionell. Da kann nicht erwartet werden, dass ihre Ehe plötzlich einem 0815 Muster entspricht. Ein Vorteil hat das Ganze in jedem Fall: „so kann ich auch geographisch Distanz nehmen“. Nicht in Bezug auf ihren Mann, sondern auf den Stress, der in Kassel durch ihren Aktivismus und Job aufkommen kann.
Und wenn sie kurzfristig eine Auszeit benötigt, kann sie einfach in ihren Garten gehen. Sie wohnt in der Stadt in einem alten Haus zusammen mit ihrer Schwester und dessen Mann. Dort hat sie die Möglichkeit Gemüse und Obst anzubauen und sich direkt aus dem Garten zu ernähren. Außerdem wohnt ihre Mutter auch um die Ecke. Somit hat sie sich eine Umgebung aufgebaut, bei der auch sie sich für einen kurzen Moment von dem Kampf um Gerechtigkeit zurückziehen kann. Und es scheint zu funktionieren, denn sie sagt: „ich würde mich für einen privat glücklichen Menschen halten“. Dazu zählt auch die Tatsache, dass sie Mutter eines erwachsenen Sohnes ist.
Wenn sie nicht gerade gärtnert, liest, arbeitet oder demonstriert, dann ist sie noch aktiv tätig im Arbeitskreis Frauengesundheit und beteiligt sich an einer Sprechstunde für nicht Krankenversicherte in Kassel. Und trotz ihres vollen Stundenplans wirkt sie kein Stückchen müde. Im Gegenteil, sie wirkt voller Energie, wenn sie über das Thema Frauen und den Kampf um ihre Rechte spricht. Das erklärt auch ihre folgende Aussage: „Für mich würde es sehr sehr viel mehr Kraft kosten, wenn ich schweigen müsste.“ Für ihr Engagement wurde sie 2019 mit dem Anne-Klein-Frauenpreis der Heinrich-Böll-Stiftung ausgezeichnet. Gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen Natascha Nicklaus und Kristina Hänel.
Ihr unermüdlicher Kampfeswille zeigte sich wieder Anfang diesen Jahres, als sie eine Klage gegen den Herren einreichte, der sie in 2017 auf Grund des Paragrafen 219a anzeigte. Szász zeigt ihn auf Grund von Beleidigung und Volksverhetzung an. Denn nicht nur, dass er jegliche Gynäkolog*innen zerreißt, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, auf seinen diversen Webseiten. Sondern er verbreitet auch Lügen über Abbrüche. Dadurch stachelt er eine ganze Bewegung von ProLife’ern an, die nicht nur misogyn, sondern auch hochgradig gefährlich für Frauen sind. Doch das ist nicht die einzige Klage, die momentan gegen diesen Mann läuft. Auch die Gruppe „Doctors for Choice“ gehen momentan in einem anderen Fall gerichtlich gegen ihn vor. Szász ist also in guter Gesellschaft in ihrem Kampf.
Doch, obwohl sie bereits sehr viel Engagement in Bezug auf Frauenrechte zeigte, sagt sie selbst von sich, dass sie „gerne noch mehr gegeben hätte [in der Vergangenheit], die Welt noch etwas besser hätte machen können“. Vermutlich wird sie auch demnächst nicht auf die Bremse drücken, sodass sie noch einige spannende Jahre vor sich haben wird, in denen sie noch mehr geben kann. Somit wird sie am Ende ihres Lebens mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich folgenden Satz sagen können, den sie in unserem Interview als Wunsch für die Zukunft äußert: