Die Anzeigetafeln der Bushaltestellen lassen es in leuchtenden Buchstaben verlauten: „GöVB wird heute, am 02.02.2024 ganztägig bestreikt. Es fahren keine Busse“.
Warum dieser Streik auch ein Klimastreik ist.
Morgenstund hat Streik im Mund
Es ist gerade einmal kurz nach 4 am frühen Morgen, die Sonne wird erst in ein paar Stunden aufgehen. Um diese Uhrzeit treten für gewöhnlich die Kolleg*innen des Göttinger Verkehrsbetriebes die Frühschicht an und fahren die ersten Busse aus dem Werkstor. Heute wird hier eine Feuertonne angezündet, Stehtische und ein Pavillion aufgebaut. Vor dem Werkstor hängt ein Banner, mehrere Fahnen schmücken den Platz davor. Heute ist kein Arbeitstag – Heute ist Streiktag. Noch sind es ein Dutzend Kolleg*innen, die den Streikposten aufbauen, nach und nach werden andere dazustoßen. Die Szene verrät noch nicht viel davon, dass dieser Streiktag ein etwas anderer sein wird. Höchstens die Hafermilch am Kaffeetisch mag ungewöhnlich vorkommen.
Zum ersten Warnstreik der Verhandlungsrunde zum Tarifvertrag Nahverkehr aufgerufen hatte einige Tage zuvor die Gewerschaft ver.di. Nicht nur in Göttingen, sondern bundesweit bleiben heute die Busse und Bahnen still. Die Beschäftigten fordern Entlastungen im Arbeitsalltag, Erhöhung der Urlaubstage und der Ruhezeiten zwischen den kräftezährenden Schichten. „Es bringt nichts, wenn die Leute bei uns völlig erschöpft sind und den Personalmangel auffangen müssen. Wir wollen unsere Fahrgäste sicher ans Ziel bringen“ findet Fabian, der in der Werkstatt arbeitet. Doch in dieser Runde geht es nicht nur um tarifliche Forderungen. Deshalb stehen Fabian und seine Kolleg*innen heute auch nicht alleine vor dem Werktor.
Der Vorplatz des Betriebshofs nimmt nach und nach Gestalt an. Die Anwesenden tragen gelbe Warnwesten, haben dampfende Tassen in der Hand und stehen rund um die Feuertonne. Es hat eisige 3 Grad. Um kurz vor 5 nimmt die Szene eine Wendung. Man hört zuerst den Chor aus Fahrradklingeln, bevor der Korso aus über 30 Fahrradfahrenden um die Ecke biegt und am Betriebshof ankommt, wo er jubelnd empfangen wird. Die Fahrräder werden an das Werktor geschlossen – oder parken auf dem Parkplatz der Geschäftsleitung. Mit einem Schlag füllt sich der Platz vorm Werktor. Die Neuankömmlinge sind keine unbekannten Gesichter. Es sind Aktivist*innen aus verschiedenen Klimagruppen Göttingens, die sich gemeinsam zur Unterstützung des Streiks der Beschäftigten organisiert haben. Viele von ihnen tragen ebenfalls Warnwesten. Groß auf dem Rücken, das Logo: Wir Fahren Zusammen.
Viele der Aktivist*innen gehören zu dem Bündnis unter selbigem Namen. Wir Fahren Zusammen ist eine Kampagne, die von ver.di und Fridays For Future gegründet wurde. Zusammen wollen sie für bessere Arbeitsbedingungen und den Ausbau des ÖPNV kämpfen. Ihre Begründung: Ohne gute Arbeitsbedingungen kein Ausbau des ÖPNV, ohne ÖPNV kein Gelingen der Verkehrswende und Bewältigung der Klimakrise. Zahlen und Fakten sprechen für das Bündnis und zeigen: Die Frage nach Verkehr in unserer Gesellschaft ist eine sozial- und klimapolitsche. Im Verkehrssektor trägt der Autoverkehr mit großem Abstand am Stärksten zum Emissionsausstoß bei. Und dieser Trend setzt sich fort: Jährlich werden immer mehr PKWs zugelassen. Dabei besitzt ein der Großteil der Haushalte mit geringem ökonomischen Status gar kein Auto. Das heißt: Aktuell bedeutet Mobilität eine massive soziale Benachteiligung großer Bevölkerungsgruppen. Gleichzeitig fehlen schon jetzt 80.000 Beschäftigte im öffentlichen Nahverkehr, der diese Lücken schließen müsste. Und auch diese Kurve steigt.
Klasse in Fahrt
Auf dem Beteibshof haben sich mittlerweile über 100 Personen eingefunden. Beschäftigte und Aktivist*innen stehen beisammen am Feuer oder Stehtisch. Es wird geplaudert und diskutiert. Über gemeinsame Erfolge, die letzten zwei Wochen der gemeinsamen Steikplanung und Ansprache der Kolleg*innen im Betrieb, über das „freche Angebot“ der Arbeitgeber in der ersten Verhandlungsrunde.
Die Stimmung ist ausgelassen und doch kämpferisch aufgeladen. Heute soll es noch gemeinsam zur zentralen Streikdemo nach Hannover gehen. Einer der Beschäftigten am Streikposten ist Sönke.
Er ist in den letzten Monaten zu einem aktiven Mitgestalter der Zusammenarbeit mit der Klimabewegung geworden. Warum er mit seinen Kolleg*innen für bessere Arbeitsbedingungen streikt, ist für ihn klar: „Die Belastung im Fahrdienst ist zu hoch. Personalmangel führt zu Überstunden, anstrengende Dienste zu einem hohen Krankenstand. Geteilte Dienste passen nicht ins Familienleben.“ Aber auch er blickt weiter, als nur bis zu seinem Tarifabschluss.
Vor dem Werktor füllt sich der Platz immer weiter. Neben Busfahrer*innen und Aktivist*innen sind auch verschiedene Lokalzeitungen da und berichten über das Geschehen. Gleich beginnt die Streikversammlung. Eine Holzpalette dient als Bühne, ein Mikrofon wird eingestellt. Das reicht für die Redebeiträge zweier Busfahrer und einem Aktivist der Kampagne. Man ist sich einig: Um eine starke Streikbewegung aufzubauen braucht es Zusammenhalt und Bereitschaft, das zu erkämpfen, was lange überfällig ist.
Kurz vor halb 8. Die letzten Worte werden ins Mikro gesprochen, nebenan wartet schon ein Reisebus. Er wird gut die Hälfte der Anwesenden – Beschäftigte und Aktivist*innen – nach Hannover fahren. Dort wird gemeinsam mit den anderen Verkehrsbetrieben Niedersachsens gestreikt. Verpflegung und Getränke werden in den Bus geladen sowie alle, die mitkommen wollen. Einige Kolleg*innen bleiben zu Hause und halten Torwache.
Heute soll hier nur ein Bus vom Hof fahren. Und der ist mittlerweile voll und abfahrbereit. Die Stimmung während der Fahrt ist ausgelassen: Der kollegiale Umgang bei Musik und Fahrt-Snacks erzeugt Klassenfahrt-Stimmung. Doch kämpferische Vorfreude auf die bevorstehende Ankunft bei den Streikenden in Hannover schwingt mit. Der Busfahrer des Reisebusunternehmens streikt heute zwar nicht, beteuert aber: „Natürlich stehe ich auf eurer Seite“. Langsam geht die Sonne auf und es wird heller.
Wohin der Wind weht
Das Bündnis #WirFahrenZusammen stand im März 2023 zum ersten Mal gemeinsam auf der Straße – beim globalen Klimastreik. Die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeber roch hier politischen Streik, und sprach von einer „gefährlichen Grenzüberschreitung“. Dass der Arbeitskampf der Beschäftigten eine politische Relevanz hat, unterstreicht das Bündnis selbst.“Ob alt oder jung, wir müssen alle mobil sein. Zu häufig sind wir das nicht, weil unsere Busfahrer*innen wegen der hohen Arbeitsbelastung und schlechter Arbeitsbedingungen reihenweise krank werden. Das zeigt: Natürlich sind die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten politisch – das gilt für die Busse und Straßenbahnen genauso wie für Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten“ betont Elia, der das Bündnis in Göttingen mit anderen Aktivist*innen und Kolleg*innen der GöVB aufbaut. Was über den Tarifvertrag hinaus verhandelt werden muss, sind Verteilungsfragen. Wie wird Raum in der Stadt verteilt? Wie viel Platz haben Busse und Fahrräder – wie viel Autos? Wohin fließt Geld – in Elektrobusse oder in diejenigen, die sie täglich unter stressigen Bedingungen fahren? All das ist ebenfalls Teil des Streikauftakts heute, findet Lena, die heute auch als Teil von Wir Fahren Zusammen neben den Beschäftigten steht.
Mittlerweile hat der Reisebus voll Streik-lustiger den Streikposten des Hannoveraner Verkehrsbetriebes erreicht. Hier stehen Beschäftigte und Unterstützer*innen aus ganz Niedersachsen und warten auf den Start der Demo. Der Wind zerrt an den Jacken und lässt die Ver.di-Fahnen wehen, Banner werden gehisst. Ein Meer aus gelben Westen und roten Fahnen macht sich schließlich mitsamt einem Lautsprecherwagen auf in Richtung Rathaus. Laute Musik, Trillerpfeifen und gemeinsame Rufe bringen zum Ausdruck, warum die Streikenden auf der Straße stehen. Das Frontbanner halten Beschäftigte und Klimabewegung gemeinsam: „Nächster Halt: Klimagerechte Verkehrswende.“ Um zu diesem zu gelangen, muss es die nächsten Wochen weitergehen. Gemeinsam will das Bündnis nicht nur Arbeitgeber, sondern auch die Politik konfrontieren.
Bundesweit wurden in den letzten Wochen Unterschriften für eine Petition gesammelt, welche die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und Investitionen in den ÖPNV vereint. In den Betrieben, Unis und Schulen, an den Bushaltestellen und in Kneipen Göttingens wurden schon über 3000 Unterschriften gesammelt. Dass es bei der Petition nicht um eine bloße Unterschrift, sondern um aktive Solidarität gehen muss, betonen die Sammelnden immer wieder. Wie viele Unterstützer*innen heute früh zum Streikposten gekommen sind zeigt, dass diese Arbeit fruchtet. Die Petition soll in Göttingen noch am 14. Februar an lokale Entscheidungsträger*innen in der Politik übergeben werden. Die Botschaft: „Was wir machen, wollen Viele. Was wir machen, ist politisch. Positioniert euch, macht was draus.“
Die Streikdemo ist am Rathaus angekommen und sammelt sich dort. Hier gibt es Redebeiträge von gewerkschaftlichen Akteurinnen, Kolleg*innen aus den verschiedenen Betrieben und Teilen der Klimabewegung. Man spricht sich Mut zu und Solidarität.
Es ist Mittag und die meisten hier sind schon seit gut neun Stunden auf den Beinen. Während der Tag für viele Andere erst so richtig beginnt, neigt sich die Versammlung hier dem Ende. Sönke und seine Kolleg*innen steigen wieder in den Reisebus, der sie hergebracht hat. Als dieser schließlich wieder am Betriebshof in Göttingen ankommt, ähnelt die Szene noch der von heute Morgen. Nur heller ist es geworden. Die Kolleg*innen der Werkstatt haben sich dem Streik angeschlossen und den Streikposten bewacht. In der Luft hängt immer noch der Rauch aus der Feuertonne. Alle erzählen von ihrem Tag und sprechen schon über die kommenden Wochen. Wenn in den nächsten Verhandlungsrunden kein vernünftiges Angebot kommt, werden die Busse weiter still stehen müssen, da sind sie sich einig.
Die Stimmung auf dem Vorplatz ist gemischt. Viele feiern euphorisiert den Erfolg des Tages, bei Anderen setzt die Erschöpfung ein. Heute ist kein Arbeitstag, aber auch kein Urlaub. Klimabewegung und Beschäftigte wissen beide: Geschenkt, wird ihnen nichts und Veränderung ist Handarbeit. Auch das verbindet.