Hektisch, laut, stressig. Die ersten Tage bei der Bundeswehr sind für Moritz Gewöhnungssache. Er will seinen Ausbilder nur nach dem Weg zu seiner Stube fragen und schon wird er angeschrien. Nur 20 Minuten nach Ankunft in der Kaserne. Er wusste dass es schlimmer als bei Mutti werden würde, trotzdem kommen in den ersten Wochen Zweifel auf. Eine Woche. Dann ist er wieder weg. 
Er lacht. „War aber geil“ sagt Moritz nun schon zum fünften mal. Gelassen sitzt er am Küchentisch: Zigarette, Wasserglas mit Weißwein und Eiswürfel in der einen Hand, in der anderen ein Feuerzeug mit dem er die ganze Zeit spielt. Gedankenverloren schwelgt er in Erinnerungen an die Ausbildungszeit bei der Bundeswehr. 

ganz rechts steht Moritz in Formaluniform
Foto: Stabsgefreiter Daniel L.

Erster Tag. Völlig planlos läuft er mit Tasche und Rucksack durch die Formation. Der Ausbilder schreit. Die erste Regel hat er direkt gebrochen und ab diesem Moment weiß Moritz, dass man niemals durch eine Formation läuft und sich immer hinten anstellt. Er wollte eigentlich nur fragen wo sein Zimmer ist. Nächstes Geschrei. Und ab diesem Moment weiß er, dass es bei der Bundeswehr Stuben und nicht Zimmer heißt. Zimmer gibt es im Puff. Zweite Tür links teilt sich Moritz seine Stube mit sieben weiteren Kollegen. Aufgeteilt in zwei Zimmer – eins links, eins rechts – und in der Mitte das Badezimmer. Zimmer. Also doch. Er hat allerdings schlimmeres erwartet. Jeder hat ein Bett und einen Spind, und mit Fernseher, Kühlschrank, Tisch und Stühlen ist die Stube ganz schön deluxe. Privatsphäre ist zwar nicht mehr, aber das ist er durch seine zwei Brüder mit denen er aufgewachsen ist ohnehin schon gewöhnt.

Stationiert in Schortens, im Norden Niedersachsens, verbringt Moritz die nächsten 23 Monate als FWDL, freiwilliger Wehrdienstleistender. Absolut im Nirgendwo, immer Regen oder Nebel. Weil er nach der Ausbildung studieren möchte schließt er SAZ – Soldat auf Zeit, mit vier jähriger Verpflichtung – aus. Seinen Dienst leistet er beim Objektschutzregiment der Luftwaffe als Infanterist. „Der stumpfe Landser“. 
Die Kaserne wird sein neues Zuhause, der inaktive Fliegerhorst sein Übungsplatz. 

Foto: Stabsgefreiter Daniel L.

Die ersten vier Tage war Moritz sicher, dass er sich bis spätestens nächste Woche wieder abmelden würde. Im Gegensatz zu ihm halten es sechs Männer und vier Frauen nicht mal zwei Tage durch. Für Moritz aber bald alles kein Problem mehr. Er taut relativ schnell auf, gewöhnt sich an das System der Bundeswehr. Jeden Tag um 05:30 Uhr aufstehen. Zuerst ist das für ihn fast unmöglich, aber am Ende hatte er noch nie einen so gesunden Schlafrhythmus. Dieser ist jetzt durchs Studium allerdings wieder hin. Mit steifen acht Kilo Schuhen an den Füßen geht es zum Frühsport. Military Fitness: Liegestütze, Verwundete tragen, Laufen. Jeden Dienstag- und Donnerstagmorgen eine Runde um das Gelände herum. Zwölf Kilometer. Anfangs schafft Moritz die Runde in einer Stunde, am Ende steigert er sich auf etwas über einer halben Stunde. Läuft. 
Mit Blasen an den Füßen und Muskelkater am ganzen Körper geht es zum Einkaufen. Pferdesalbe und Tigerbalsam: dafür gibt er anfangs das meiste Geld aus. Ungewohnt nur, denn Muskelentspannungscremes sind die einzigen Cremes die er sich je zugelegt hat. 

Weil alles schnell gehen muss hetzen sich seine Kameraden vor oder nach dem Morgensport zum Frühstück ab. Ohne Moritz. Er frühstückt meistens gar nicht. Er wartet bis 12:00 Uhr zum Mittagessen in der Truppenküche. Beim engagierten Truppenkoch gibt es jeden Tag die Auswahl zwischen Fleisch, Fisch, Vegetarisch und für Muslime ohne Schweinefleisch. Genießen tut er seine Mahlzeiten immer. Wenn auch sehr schnell. 

Zwischen Frühsport und Mittagessen nehmen er und seine Kameraden an einer Ausbildung teil: Taktik, Waffen, „Verhalten bei“, Sanitätsausbildung, Schulung, Unterricht, Fortbildung. Hauptproblem dabei: die Müdigkeit. Wach bleiben im Unterricht stellt sich als verdammt schwierig dar. Und es wäre nicht die Bundeswehr, wenn es auch hierbei keine Regeln geben würde. Schläfst du ein, musst du stehen. Oder ein paar Liegestütze machen. Besonders anstrengend ist es für Moritz dann, als er am Anfang der Stunde einpennt, erwischt wird und den kompletten Rest der Stunde stehen muss. 

Nach dem Besuch beim Truppenkoch wird rotiert und Moritz kommt zu einer anderen Station. Straffes Programm die ersten drei Monate. In denen wird jeder Soldat grundausgebildet. Gut für Moritz. In dieser Zeit lernt er alles kennen und die groben Strukturen zu verstehen. Aufbau einer Befehlskette, Magazinwechsel, Basic Wunden Versorgung, Ge- und Verbote, Schießen; für ihn jedoch nicht das erste Mal. Schon vor der Ausbildung hat er großes Interesse für Waffen. Viele Freunde nehmen ihn mit zum Jagen. Oder sie gehen hinten aufs Feld. Rumballern mit dem Luftgewehr. Sein Facebook Profil zeigt ihn beim Tontaubenschießen im Urlaub. Sich selbst bezeichnet er als „Waffennarr“, sein halbes Instagram zeigt Fotos von Waffen. Manche Leute interessieren sich eben für Autos, Moritz für Waffen. 

17:00 Uhr. Nach Dienstschluss kann er endlich die Füße hochlegen. Oder nicht? Es gibt zwar Freigang, aber an manchen Tagen müssen sich seine Stubenkameraden und er zusammensetzen und für Tests oder Prüfungen lernen. Kommandos, englische Abkürzungen, Waffenbestimmung in allen Kleinteilen. Eben Dinge, die sie als Soldaten wissen müssen. 

Moritz (rechts) und sein Stubenkamerad im Gefechtsdienstanzug
Foto: Stabsgefreiter Daniel L.

An anderen Tagen muss die Ausrüstung nachbereitet werden. Stiefel, Weste, Magazine. Sauberkeit und Ordnung haben hohe Priorität. Eine Umstellung für Moritz. Aber auch das eignet er sich ganz schnell an. Zurück Zuhause staunt seine Mutter über diese Disziplin. Blatt und Stift: gerade untereinander gelegt. Bett: gemacht, nach militärischem Stil. 
Der morgendliche Stubendurchgang zeigt seine Wirkung. Alles muss glänzen und blitzen. Keine leichte Aufgabe. Bis Moritz und seine Stubenkameraden den Dreh raushaben dauert es eine ganze Weile. Irgendwann wissen sie aber genau worauf die Ausbilder achten. Die dummen Sprüche bleiben trotzdem nie aus. Wie an dem Tag als er vergessen hat seine Feldflasche zu leeren. 

Es ist der zweiter Monat der AGA; allgemeinen Grundausbildung. Moritz trägt seinen Gefechtsanzug, bestehend aus Weste, Waffe, Helm und eben der sogenannten Feldfalsche. Getragen wird der Gefechtsanzug wenn Waffenausbildung oder Taktik anstehen. Morgens füllt Moritz die Flasche mit frischem Wasser randvoll auf, nach Dienstschluss leert er sie wieder aus. Normalerweise. Denn das Wasser muss immer frisch sein – im Notfall ist es nicht mal zum Trinken da, sondern zur Wunden Versorgung. Als der Ausbilder seine Flasche überprüft und sie noch voll ist, ahnt Moritz schon böses. Es wird nass. Der Ausbilder kippt das komplette Wasser aus der  Feldflasche in der gesamten Stube aus. Moritz gestikuliert lachend. Immerhin sorgt er ab diesem Tag dafür, dass die Feldflasche von ihm und die all seiner Stubenkameraden immer leer ist. Lektion gelernt.

Unbewusst werden immer noch so viele Dinge falschgemacht, da gibt es immer wieder eine „Sprengung“ für. Jeder bei der Bundeswehr hat mindestens schon zehn solcher Momente in der Grundausbildung erlebt. Inklusive Moritz. 

An Freigang-Abenden gehen Moritz und seine Kollegen auch mal außerhalb der Kaserne essen, ins Kino, viele in die Spielo, oder in seine Stammkneipe, ins „Pütt“. Denn natürlich wird ab und zu auch mal getrunken. Allerdings viel weniger als erwartet und dann auch noch mit Nachspiel. Wenn der Hauptfeldwebel bei der Stärke – morgendliches Antreten zum Dienstbeginn – vorne die Alkoholfahne mitkriegt, werden Ausnüchterungsmaßnahmen ergriffen. Für Moritz ist das aber keine richtige Strafe, selbst Schuld wenn man morgens noch gut dicht im Dienst rumhampelt. Eine Runde um die Kaserne rum, kein Problem. Wenn aber Sprints, Sit-Ups, Liegestütze und Gruppenliegestütze dazukommen, wird es schon schwieriger. Da kann man gut verstehen dass er an anderen Abendenden einfach auf der Stube hängt und um zehn schlafen geht. 

Als die drei Monate Grundausbildung vorbei sind kommt Moritz in die Einheit, in der er seinen eigentlichen Dienst antritt. Die Combat Ready Ausbildung, kurz: CR.
Hier lernt er abrufbar auf alle möglichen Einsätze zu sein. Der Zwischenschritt zwischen der Grundausbildung und der Einsatzvorbereitung. Er ist froh darüber in die CR gekommen zu sein. Mit einer silbernen Kette um den Hals und einem silbernen Armband ums Handgelenk rückt er seine Cap zurecht, trinkt einen Schluck Weißwein und zieht an seiner Kippe. Alles muss schnell gehen. Trotzdem genussvoll. Vielleicht eine verbliebene Angewohnheit der Bundeswehr? 

Das Schießen auf der Schießbahn macht ihm neben den Draußen Übungen und dem Schlafen im Wald am meisten Spaß. Er ist ein guter Schütze. Acht verschiedene Waffen zählt er auf. Vor allem der Granatwurf ist was Besonderes für ihn. 

Er steht mit der Granate in der Hand in dem Haus mit Gummiwänden. Die Ausbilder teilen vor dem Granatwurf zwei Lektionen mit. Lektion eins: Granate über eine Ecke hinweg werfen und in Deckung gehen. Lektion zwei: Nachdem die Granate geworfen wurde, nicht an die Wand lehnen. Der Stellvertretende Zugführer und Staffelkommandeur drückt Moritz nach dem Granatwurf gegen die Wand. Als die Granate explodiert, wird sein Sichtfeld einmal zusammengestaucht und wieder hochgezogen. Völlig geschockt steht er vor dem Haus. Als der Ausbilder ihm sagt, dass das der Grund ist warum man nicht an einer Hauswand lehnt wenn eine Granate explodiert, bekommt er wieder einen klaren Kopf. Lektion gelernt. Und „es war voll geil“.

Kriegsmäßig hat Moritz vor allem das sogenannte Lagespiel geprägt. Schlafen unter freiem Himmel. Ein Gegner. Gegenseitiges Angreifen. Nach einigen Tagen, mit wenig Schlaf und wenig Essen, bekommt er ein reales Verhältnis und ist richtig drin. Das Endszenario wird geübt und der absolute Höchsternstfall wird erlebt. Mit Platzpatronen, Täuschkörper, Rauchgranaten, Sprengfallen und Panzerfäusten wird aufeinander geschossen. Seine Miene wird etwas ernster. Mit der rechten Hand spielt er wieder mit dem Feuerzeug rum und klopft damit auf den Tisch. 
Sein Kamerad neben ihm, offensichtlich nicht getroffen und simulierend, schreit. Kunstblut fließt. Panik breitet sich in ihm aus. Für einen kurzen Moment erscheint alles echt. Nach einer Weile wird ihm wieder klar, dass seinem Kameraden nichts passiert ist. Alles nur Übung. Damit Moritz geistig fit genug ist – falls es mal wirklich knallt.

Foto: Stabsgefreiter Daniel L.

Die CR angefangen mit 100 Leuten, hören sie mit nur 29 Leuten auf. Ein emotionales und trauriges Ende. Nach seiner Combat Ready Ausbildung ist er ausgebildeter Luftwaffensicherungssoldat Alpha. Für seinen Zug geht es in den Einsatz, doch weil er nur FWDL 23 ist, kann er aus Zeitgründen nicht mit. Zwar hat er für sich die richtige Entscheidung getroffen, die Zeit beim Bund nicht zu verlängern, trotzdem ist er traurig darüber. Verlängern für nur vier Monate geht allerdings nicht. Nächster Schritt sind vier Jahre. Für ihn keine Option.Er möchte studieren. Vielleicht nach dem Studium nochmal beim Bund einsteigen. Denn der Dienstgrad wird dann dem akademischen Grad angepasst. Vielleicht liegt es in der Familie, seine Eltern sind beide Akademiker. 

Foto: Stabsgefreiter Daniel L.

Froh darüber, die Ausbildung bei der Bundeswehr nicht nach den ersten Tagen wieder abgebrochen zu haben, sieht Moritz sich Fotos aus dieser Zeit an. Auch Fotos, die seine Kameraden aus Niger schicken, wo sie aktuell ein deutsches Camp beschützen. Er wäre gerne mit auf den Einsatz gegangen. Erlerntes anwenden. Erfahrung sammeln. Extremfälle und Krieg mal außenvorgelassen, auch wenn diese Sachen genauso dazugehören. Das schockt Moritz nicht. Vielleicht wird er ja doch irgendwann völlig durstig und verstaubt durch die Wüste wandern, die acht Kilo Schuhe an den Füßen, den Gefechtsdienstanzug tragend und die, mit frischem Wasser, vollgefüllte Feldflasche dabei. Immer gewappnet für den Notfall.  

Hektisch, laut und stressig fängt seine Zeit an. Wachsam, strukturiert und vorbereitet hört sie auf. Die Notausgänge immer im Blick läuft Moritz heute durch die Gebäude der Göttinger Universität.

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