Canis Lupus ist wieder da. Doch bei seiner Rückkehr macht er sich bei Pferdebesitzerin Gabriela Depenau keine Freunde.
Sorglos wirkt hier die ländliche Idylle. Der Wind trägt den Geruch von frischem Heu bis an den Wegesrand, wo Gabriela Depenau an dem Holzpfosten eines hohen Zauns lehnt. Wenige Meter entfernt knabbert ein Pferd friedlich an saftig grünen Grashalmen herum, im Schutz einer vierzig Kopf starken Herde. Doch der Schein trügt. Seit GW950m und GW1423f das Burgdorfer Holz zu ihrem Revier erklärten ist es vorbei mit der Idylle in Hannovers Pferderegion.
Als Gabriela Depenau vor dreißig Jahren Bleistiftrock und Bluse gegen Jeans und T-Shirt tauschte, gab es den Wolf noch nicht. Damals baute die ehemalige Sparkassen Filialleiterin mit ihrem Mann den Milchviehbetrieb seiner Eltern im beschaulichen Dedenhausen zu einem Pferdehof um. Heute liegt hier auch das Revier des Burgdorfer Rudels „Zwischen 20 und 25 Individuen leben im Burgdorfer Holz, damit ist es vermutlich das größte Wolfsrudel Deutschlands“, sagt Depenau. Seither gilt es die insgesamt 150 Pferde aus der eigenen Hannoveraner Zucht und Pferdepension zu schützen. Ein Kampf ums Überleben – auf zwei Seiten. Denn zum Wohl ihrer Tiere installiert die Landwirtin nicht nur Zäune und Kameras, sondern setzt sich auch für ein verändertes Management des streng geschützten Beutegreifers ein.
Auf der Pirsch in deutschen Wäldern
Es war nämlich ruhig, nachdem Puck, der letzte Wolf Niedersachsens, im Jahr 1872 von einem Leibjäger des König Georg V. von Hannover erlegt wurde. In den letzten zwanzig Jahren jedoch pirscht sich der Isegrim aus dem sächsischen Teil der Lausitz behutsam in weite Teile Deutschlands vor. Glaubt man dem letzten Wolfsmonitoring der Bundesregierung im Mai 2020, leben 128 Wolfsrudel in Deutschland, hinzu kommen 39 Paare und neun Einzeltiere. Das ist eine außergewöhnlich hohe Wolfsdichte (hier sollte der Sound Clip rein) Vor spätestens drei Jahren ist der Wolf auch in der niedersächsischen Region Hannover angekommen – sehr zum Leidwesen von Gabriela Depenau. Was das bedeutet hätte die 57-Jährige bis vor einem Jahr selbst nicht geglaubt.
Doch je stärker sich der Wolf ausbreitet, desto schwieriger wird das Zusammenleben im Burgdorfer Holz, denn die fleißigen Räuber haben Hunger. Während die Elterntiere täglich drei bis vier Kilogramm Fleisch vertilgen, verlangen auch sieben Welpen aus diesem Jahr nach den ersten Lebensmonaten feste Nahrung. Das bereitet Gabriela Depenau große Sorge. Nach den Analysen von über 8000 Kotproben durch das Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz ernährt sich der Wolf größtenteils von Wildtieren. Zu seiner Leibspeise zählen Rehe, gefolgt von Wildschweinen und Rothirschen. Nutztiere, wie Schafe, Ziegen aber auch Rinder sowie Pferde spielen mit 1,6 Prozent eine untergeordnete Rolle auf seinem Speiseplan.
Und dennoch: „Im Umkreis von nur fünf Kilometern sind im letzten Jahr drei Pferde gerissen worden. Erst ein Shetlandpony, dann ein größeres Pony und im September dann eine Tinkerstute“, sagt Depenau, die ihre Verzweiflung nicht verbergen kann. Wird ein Tier gerissen, erhält der Besitzer bis zu 5000 Euro Entschädigung vom Staat – nicht viel Geld für ein Rassepferd, „außerdem sind das Familienmitglieder“. Für Depenau sind Pferde ein Lebensbestandteil seit sie denken kann. Für den Wolf jedoch ist fein eingezäuntes Futter leichte Beute und er frisst was gut zu kriegen ist.
Vorsorge ist besser als Nachsorge
Deswegen investiert Gabriela Depenau im Wettrüsten gegen den Wolf kurzerhand in Herdenschutz. Sie ist eine Frau auf deren Worte Taten folgen. Der Holzpfosten, an dem sie eben noch lehnte, gehört zu einem mannshohen Zaun, der die Weide umgibt. An dem oberen Draht schaukelt ein gelbes Warnschild im Wind: „Vorsicht Elektrozaun“. Das Bauwerk besteht aus sechs Stahldrähten, der erste auf 20 cm, der letzte auf 160 cm Höhe. Alle sechs Meter halten Pfosten die Drähte auf Position. Das soll den Störenfried vor ein unüberwindbares Hindernis stellen. Rund sechs Euro kostet der Meter Spezialzaun zur Wolfsabwehr laut Berechnungen der Bayrischen Landesanstalt für Landwirtschaft. Da der Wolf bei Depenaus Nachbarn bereits Pferde gerissen hat, darf sich die burschikose Frau durch Anträge zur finanziellen Unterstützung wühlen. 30.000 Euro zahlt ihr der Staat für Schutzvorkehrungen. „Davon konnte ich gerade das Material für den Zaun bezahlen“, sagt Depenau. Das die Politik denkt, damit sei ihr geholfen, versteht sie nicht. Aufgestellt hat sie die Pfosten und Drähte dann in Eigenregie.
Damit ist die Arbeit allerdings nicht getan. Denn der Zaun ist nicht gerade pflegeleicht. „Wir beschäftigen einen ganzen Mitarbeiter für den Sommer, der ausschließlich den Zaun freischneidet“, sagt Depenau. Wächst das Gras an die Drähte heran, muss darunter gemäht werden, damit der Strom nicht in den Erdboden geleitet wird. Denn um einen Wolf abzuhalten muss Strom fließen. 8000 Volt schießen durch die dicken Drähte – so wie es die zuständige Landesbehörde empfiehlt. Dadurch hält der Wolfsschutzzaun nicht nur unliebsame Beutegreifer fern, sondern auch Rehe, Hasen und andere Wildtiere. Damit gehen Depenaus Weiden für zahlreiche Wildtiere als Lebensraum verloren.
Rund die Hälfte ihrer insgesamt achtzig Hektar Weideflächen hat Gabriela Depenau bereits wolfssicher eingezäunt. Ruhig schläft sie trotzdem nicht. „Man hört ja immer wieder, dass die Wölfe den Zaun durchqueren.“ Denn die grauen Jäger können sich gut anpassen und lernen schnell. Deswegen kauft sich Depenau zusätzlich Wärmebildkameras, um ihre drei Pferdeherden Tag und Nacht zu kontrollieren. Vom späten Abend bis in die frühen Morgenstunden übernimmt die Überwachung eine externe Firma. Sobald sich die Herde auffällig verhält, klingelt bei der Landwirtin das Telefon. Die Kosten dafür trägt sie selbst.
Eine Alternative zu Zäunen und Kameras stellen vierbeinige Alarmanlagen dar. Die imposanten Herdenschutzhunde erreichen eine Schulterhöhe von achtzig Zentimetern und sind darauf konditioniert, es mit dem Wolf aufzunehmen. Als förderungswürdig gelten Rassen wie die Pyrenäen Berghunde oder die Maremmen-Abbruzzen-Schäferhunde. Die Kosten von mehreren Tausend Euro pro Tier übernimmt der Staat vollständig, denn sie bewähren sich gut. Für Gabriela Depenau sind die Hunde jedoch keine Alternative: „Diese Hunde lassen ja die Besitzer nicht mehr an ihre Tiere ran.“ Denn Herdenschutzhunde vertreiben was ihnen fremd ist – auch unliebsame Pferdebesitzer, wenn es sein muss.
Für ein Leben miteinander statt gegeneinander
„Damit ist der Wolf das Ende der Weidetierhaltung“, ist sich Gabriela Depenau sicher. Denn aus Angst vor dem Wolf geben viele Landwirte die Tierhaltung auf oder sperren ihr Vieh zurück in den Stall. Das wäre das Ende im „Pferdeparadies“ Depenau, denn dort stehen die Pferde Sommer wie Winter auf großen Weiden. Die Arbeit auf dem Hof, draußen, die Pferde, das ist ihr Leben. Außerdem stehen die Töchter schon in den Startlöchern. Dajana und Darina wollen den Hof gemeinsam übernehmen. Weitertragen was die Eltern aufgebaut haben.
Um ihr Lebenswerk zu erhalten und für die kommenden Generationen zu schützen, geht Gabriela Depenau auf die Straße. Auge in Auge mit den Wolfsschützern. Gemeinsam mit Tierhaltern aus der Umgebung macht sie aufmerksam auf das, was der Wolf in einer Kulturlandschaft mit sich bringt. „Wir sind alles Tierfreunde, wir wollen keine Art ausrotten, aber wir wollen Artenschutz und keinen Artschutz, es kann nicht sein, dass ein Tier über allen anderen steht“, sagt Depenau.
Denn der Wolf steht seit nunmehr drei Jahren als „nicht gefährdet“ auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion. Nach den Naturschutz-Richtlinien der Europäischen Union, die sogenannte Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, kurz FFH-Richtlinie, gilt der Beutegreifer jedoch seit etwa dreißig Jahren als streng geschützt. Den Wolf zu jagen ist damit das ganze Jahr über streng verboten und wird mit hohen Strafen geahndet.
Nach dem Willen von Gabriela Depenau und weiteren Weidetierhaltern soll der Wolf daher ins Jagdrecht überführt werden. Der Freistaat Sachsen hat das bereits vor neun Jahren vorgemacht. Denn dieses Rechtsgebiet sieht vor, die Tiere zu schützen und überdies zu regulieren, wenn eine Art überhand nimmt. Doch ohne Ausnahmegenehmigung dürfen auch die sächsischen Jäger nicht schießen, denn auch das Jagdrecht untersteht den FFH-Richtlinien. Es können aber aktive Managementpläne erarbeitet und umgesetzt werden, gestützt auf wissenschaftliche Studien, die das Land Niedersachsen bereits in Auftrag gegeben hat. Ähnlich wie unsere französischen Nachbarn könnte auch Deutschland auf Basis dieser Studie eine stabile Untergrenze für die Wolfspopulation definieren. Um den Wolf zu schützen, aber auch um ihn zu regulieren.
Denn der Unzufriedenheit Betroffener folgt nicht selten Selbstjustiz. Die drei großen „S“: Schießen, Schaufeln, Schweigen – sind dann die pragmatische Lösung des Wolfsproblems. Deswegen gilt es den Wolf auf Abstand zu halten. Denn die schlauen Tiere lernen, wo die Jäger warten und bleiben scheu. Vielleicht ein Kompromiss in einer emotional aufgeheizten Debatte. Für ein Leben miteinander statt gegeneinander, sodass auch in Hannovers Pferderegion die heimische Idylle zurückkehrt.