Von Theresa Croll
DJ-Emritzki ist Oldschool Hip-Hop-DJ in Göttingen, wo er seit einiger Zeit regelmäßig auflegt. Mittlerweile hat er mit Pechschwarz und Big Lebowski sogar seine eigene Party-Reihe Stay Local im Freihafen. Was bedeutet für ihn Hip-Hop und wie kam er eigentlich dazu, DJ zu werden? Für den 25-jährigen Sozialwissenschaftsstudenten ist eine Stadt wie Göttingen ideal, um sich auszuprobieren.
Die hohen Decken in der Altbauwohnung sind mit Stuck verziert, schwere weiße Türen und knarzender Dielenboden. Mich wundert es nicht, dass diese Gegend bei Studierenden so beliebt ist, unten trinken Leute fröhlich und hören Musik. Draußen ist es bereits dunkel, als wir uns mit Emre in seiner WG treffen, Franziska und ich wollen ihn gemeinsam interviewen. Sie kennen sich schon länger, die Begrüßung der beiden ist freundschaftlich herzlich. Während wir uns vorstellen, fällt mir sein Outfit ins Auge: Ein hellrosa Hoodie von einer klassischen Skater-Marke, die Hose grau-hellrosa kariert. Es ist diese unbeschwerte Coolness, die Emre umgibt und doch nicht arrogant wirken lässt.
Er freue sich, dass das geklappt hat, sagt er, während wir auf seiner Couch Platz nehmen. Sein Zimmer passt zum ersten Eindruck, den ich von ihm habe. Ein Mix aus Backstage-Bereich, klassischem Ikea-möbliertem WG-Zimmer und doch irgendwie einem eigenen, gemütlichen Stil. Dass er als Hip-Hop-DJ ein Mischpult und Plattenspieler in einer Ecke des Raumes hat, wundert mich nicht. Auf WG-Partys hat er damals angefangen aufzulegen, wird er uns später erzählen.
„Kann ich mir noch schnell eine Zigarette drehen?“ Der Vollständigkeit halber stellt er sich außerdem noch mal richtig vor. In Hamburg geboren, zum Studieren nach Göttingen gekommen, eigentlich Arabistik und Turkologie, woraus aber schnell Sozialwissenschaften wurde. „Ich habe mich vorher schon als DJ ausprobiert und dann dachte ich mir in meiner Studienzeit: Och, ich habe jetzt so viel Zeit, ich lege mir mal mein eigenes Equipment zu und fange an, aufzulegen.“ Er dreht immer noch an seiner Zigarette, legt sie hin und wieder ab, um weiterzureden. In Hamburg sei man als DJ nur ein kleiner Fisch in einem riesigen Teich, man brauche in erster Linie ein Alleinstellungsmerkmal, um sich von der Masse abzuheben. Oldschool Hip-Hop sei zwar auf dem Kiez dort nicht zu finden, in den Bars und Kneipen der Seitenstraßen liefe es aber dennoch hin und wieder. Die Konkurrenz ist also immer noch relativ groß. In Göttingen gibt es nicht nur weniger DJs, sondern bisher auch keinen anderen Oldschool-Hip-Hop-DJ. Seine Chance.
Die Zeit, die er während des Studiums dachte zu haben, reicht oft trotzdem nicht für studieren und auflegen gleichzeitig. Sets müssten intensiv vorbereitet werden, was viele so gar nicht wahrnehmen würden: „Die denken, man geht in den Club, der DJ drückt auf einen Knopf und los geht’s, aber so einfach ist das nicht.“ Man müsse einerseits viel Musik kennen und sich andererseits eben auch gut mit der Technik auskennen. Auch wenn manchmal alles passt, Songs gut miteinander funktionieren und die Übergänge stimmen, ist es an anderen Tagen viel Arbeit, um alles miteinander harmonieren zu lassen. Die Leidenschaft fürs DJing – wie er es nennt – sei eben auch viel größer als für das Studium, Priorität hat da meistens die Musik. Sein Anspruch und vor allem der seiner Familie sei aber immerhin auch ein erfolgreich abgeschlossenes Studium. „Manchmal winde ich mich bei den Gesprächen etwas heraus, versuche abzulenken. Denn Musik zu machen bereitet mir auch so viel mehr Freude, als das Studieren“. Emre lacht. Wegen Studienleistungen zu flunkern, scheint eine universelle Taktik zu sein, sind wir uns einig. Aus dem Flur hört man immer wieder die Mitbewohner*innen poltern. Wir verlieren uns zwischendurch in Gesprächen über Uni und Prüfungen, über die Erwartungen der Familie und denen an uns selbst.
„Was bedeutet Hip-Hop für dich?“ Emre schnaubt auf meine Frage hin kurz. So viel mehr als Musik, entgegnet er gerade heraus, eher und vor allem Kultur. Breakdance habe ihn an die Musik herangeführt. Natürlich stand hier im Vordergrund, den Körper gut zur Musik zu bewegen, außerdem habe er dort viele Leute aus der Hip-Hop-Szene kennengelernt. „DJs, Graffitisprüher, MCs… Ich habe dann versucht, mich auf all diesen Ebenen weiterzuentwickeln.“ Ohne könne er sich sein Leben gar nicht vorstellen, vor allem die Anfangsjahre der Musikrichtung haben ihn geprägt, als sie noch vornehmlich aus Beats, Loops und Breaks bestand, auf die Freestyle gerappt und Breakdance getanzt werden konnte. Er erzählt mir von den Künstlern und Künstlerinnen, die ihn geprägt haben. „Das Coole an Hip-Hop ist, dass es sich immer entwickelt, dass es durch Rap noch vielseitiger wurde und auch andere Musikstile oft mit einfließen lässt. Hip-Hop und klassische Musik zum Beispiel, wie NAS mit I can, wo er Beethovens Für Elise sampelt.“ Oldschool bezöge sich für ihn aber auf die Zeit vor Snoop Dogg und 50 Cent, die von vielen Gleichaltrigen als „alter“ Hip-Hop bezeichnet würden. Heutzutage verbinde man das Genre mit Trap-Einflüssen und Künstlern wie Travis Scott, Drake und Future, wobei auch oft behauptet wird, dies hätte mit Hip Hop an sich nichts mehr zu tun. „Dass es aber eben doch etwas damit zu tun hat, kannst du nicht abstreiten. Hip-Hop ist ein Geist, der sich auf allen Ebenen bewegt. Man kann auf Blues oder Jazz Beats rappen, ebenso kann man auf klassische Musik breaken. Es wird sich immer weiter verändern und das ist ja das Schöne daran.“ Es hätte Rock als beliebteste Musikrichtung niemals ablösen können, wäre es nicht schon immer so vielfältig gewesen.
Musik sei erst dann Musik für ihn, wenn man sich dazu bewegen kann. Und das spiegelt sich auch in seinen DJ-Sets wieder. „Erst durch Bewegung entsteht auch eine gewisse Bindung zur Musik“. Als er angefangen hat, hätte er zu seinen Freunden gesagt, er würde jetzt nur Musik spielen, zu der man auch gut tanzen könne. Daran glaubten sie nicht, man bräuchte eben auch sogenannte Highs und Lows in der Playlist und man könne nicht einfach immer nur Highs raushauen, wozu die Leute ausrasten. „Doch“, hatte Emre gesagt und tat dann eben genau das. „Sie waren auch verblüfft, aber für mich ist diese Energie bei Partys oder auch Sessions zuhause super wichtig. Hip-Hop ist etwas sehr energetisches und ich denke, darum geht es dabei auch: Energie freisetzen.“ Das sei auch der Grund, weswegen das Battlen im Rap und im Breakdance so groß geworden sei. Statt durch Gewalt können Spannungen auf diese Art und Weise gelöst werden, sogar in Neues, Positives, Kreatives umgewandelt werden. Für seine eigenen Sets lässt er sich von anderen inspirieren, anders ginge es im Hip-Hop auch gar nicht. Man gucke sich eben immer auch etwas ab und schaffe Neues. Wenn Emre über die Musik spricht, redet er mit dem ganzen Körper. Die von ihm beschriebene Energie glänzt in seinen Augen, immer wieder klatscht er mit seinen Händen auf die Oberschenkel, wenn er etwas Pointiertes sagt. Dass es seine Passion ist, merkt man in jeder Sekunde des Interviews.
Angefangen hat alles auf einem Fußballturnier in der Schule. Dort interessierten sich die Leute plötzlich mehr für seine Musik als für Fußball; schnell merkte er, dass er damit weitermachen möchte. Mit der Studienzeit begann dann endgültig seine DJ-Laufbahn. Über Bekannte kam er zu kleineren Gigs auf WG-Partys, dann wurden die Veranstaltungen größer. An seine erste „Große“ erinnert er sich noch, Semesterparty der Psychologen. Emre spricht so überzeugt von seinen eigenen Sets, dass Franziska und mich während des Gesprächs die Lust packt, zu tanzen. „Ein DJ braucht auch ein gewisses Gespür für die Songs, damit er die richtige Stimmung erzeugen kann.“ Er hat dieses Gespür, nur wehe, er wird mit Songwünschen bombardiert. Meistens würden diese Songs nämlich nicht zu seinen Sets passen, die seien schließlich wohl konzipiert und es müsse sich auch auf die richtige BPM-Rate – beats per minute – konzentriert werden. Man könne eben nicht von 120 auf 80 herunter. Ich versuche mir während er spricht vorzustellen, was diese Zahlen konkret bedeuten, Bohemian Rhapsody hat ungefähr 140, soweit ich mir erinnern kann.
Anderthalb Stunden und eine Flasche Wein später könnten wir immer noch ewig zusammen sprechen. Über seine Liebe zu Michael Jackson, seinen Nebenjob in einem modernen Göttinger Klamottenladen, die Schwierigkeit, Künstler*in von Werk zu trennen oder eben nicht. Vieles können wir nur anschneiden, für alle drei war der Tag lang und die Konzentration lässt nach. Emre legt mittlerweile regelmäßig im EinsB auf, was für ihn die perfekte Location ist, um sich als DJ zu entfalten. In Göttingen gibt es nämlich kaum Hip-Hop-Partys, zu angesagt ist Techno momentan. Auf seine Veranstaltungen dort kommen meistens um die 200 Leute. Vielleicht dient es ihm auch als Sprungbrett; einige DJs wie zum Beispiel DJ Handson haben auch in Göttingen angefangen und spielen nun erfolgreich in großen Städten.
Bevor er uns zur Tür bringt – zum Abschied mit Umarmung, statt Hände schütteln wie zur Begrüßung – lädt er uns noch zu seiner nächsten Veranstaltung ein, mit dem Apell, es weiterzutragen. „Ey Leute, kommt am 28. März zur Stay Local Party!“ Er habe noch musikalische Überraschungen und freue sich sehr auf das Event, krass würde es werden, sagt er.
Fünf Tage nach unserem Interview setzt das Corona Kontaktverbot ein. Alle Läden, Restaurants und Clubs müssen auf unbestimmte Zeit schließen. Aber Emre ist da, wenn alles wieder öffnet. Dann feiern wir mit gutem Oldschool Hip-Hop, dass alles überstanden ist.