Dienstagmorgen, 9 Uhr. Während die meisten Geschäfte in der Göttinger Innenstadt ihre Türen noch verschlossen halten, herrscht in einem kleinen Haus in der Mauerstraße bereits geschäftiges Treiben. Denn hier befindet sich die Hauptstelle der Göttinger Tafel e.V..Nahrungsmittel werden seit dem frühen Morgen angeliefert und ausgepackt.
Bald werden die Türen geöffnet und die ersten Kunden setzen sich in den Warteraum. Sie können dann für eine kleine Pauschale zweimal die Woche Lebensmittel abholen.Diese Hilfe für Bedürftige lässt sich nur durch die Mitarbeit vieler Ehrenamtlicher realisieren. Die Helfer arbeiten immer in dreier Teams. Am Dienstagmorgen besteht dieses Team aus Uschi, Petra und Annette. Sie arbeiten schon länger bei der Göttinger Tafel, seit ein bis zwei Jahren um genau zu sein. Alle drei sind Ehrenamtliche bei der Tafel, arbeiten dort also in ihrer Freizeit und ohne Bezahlung. Jeden Dienstagmorgen treffen sie sich eine Stunde bevor die Ausgabe beginnt, um Lebensmittel zu sortieren und in die Regale zu räumen. Dabei ist nie klar, welche Lebensmittel vorhanden sind oder wie viel da ist.
Auch wissen die drei nie genau, wie viele Kunden kommen. Deshalb müssen die Waren gut kalkuliert werden, damit für jeden noch etwas da ist. An manchen Tagen fallen die Lieferungen knapper aus als an anderen. Gerade dann müssen sie besonders aufmerksam sein und darauf achten, dass die Waren fair verteilt werden.
Um diese Fairness zu gewährleisten wird das Essen in einer zufälligen Reihenfolge ausgegeben. Heute sammelt Petra, eine Viertelstunde bevor die Essensausgabe beginnt, die Berechtigungskarten der Kunden ein, die im Warteraum sitzen. Diese werden dann gemischt und in eine zufällige Reihenfolge gebracht.
Nur wer seine Bedürftigkeit durch eine solche Karte nachweisen kann, darf den Dienst der Tafel in Anspruch nehmen. Die Reihenfolge wird dann auch im Warteraum ausgehängt, damit die Kunden einschätzen können, wann sie an der Reihe sind. Nun geht der Kern der Arbeit los. Immer drei Kunden werden aufgerufen und kommen an die Theke, hinter der die Ehrenamtlichen stehen.
Das Team gibt den Kunden die Möglichkeit, Wünsche und Vorlieben zu äußern, achtet aber zugleich auf eine gerechte Verteilung. Dazu ist ein gutes Gespür nötig. Wissen welche Kunden welche Produkte bevorzugen, zugleich einschätzen welche Mengen noch benötigt werden und trotzdem alle möglichst glücklich machen. Doch das ist manchmal gar nicht so einfach. Nicht alle Wünsche können erfüllt werden, da nicht immer die gleichen Waren vorhanden sind. Verteilt werden kann nur, was gerade da ist. Die Tafel basiert komplett auf Spendenbasis.
Jetzt, kurz nach Weihnachten, bedeutet das vor allem, dass die Supermärkte viele Süßigkeiten abzugeben haben. Denn Schokonikoläuse und Spekulatius werden oft nicht mehr verkauft. Diese süßen Gaben zaubern vielen Kunden der Tafel ein Lächeln aufs Gesicht und bringen die eine oder andere Geschichte zu Tage.
Eine Dame ruft zum Beispiel erfreut aus: „Da hab´ ich was für meine Enkel“, woraufhin die Ehrenamtlichen ihr lächelnd einen weiteren Nikolaus mitgeben.
Auf der anderen Seite ist das Team auch mit weniger schönen Momenten konfrontiert. So wird im Winter beispielsweise wenig Obst und Gemüse zur Tafel gegeben. Dementsprechend wenig kann an die Kunden weitergegeben werden. Die Tafel kauft keine Lebensmittel hinzu, sondern verteilt was gespendet wird. Sie ist nicht als einzige Nahrungsversorgung gedacht, sondern als Ergänzung. Die Ehrenamtlichen müssen dennoch auch mal in enttäuschte Gesichter blicken. Gerade wenn die letzten Kunden an der Reihe sind, kann es eng werden. Dann sind die Ehrenamtlichen in besonderer Weise gefragt. Sie fangen die Enttäuschung auf und bieten andere Waren an. Und das obwohl sie keinen Einfluss darauf haben, welche Lebensmittel vorhanden sind.
Sie sind die Ansprechpartner der Kunden. Kennen viele von ihnen schon seit langem. Einige begrüßt man bereits mit dem Namen. Andere kommen zum ersten Mal und müssen noch verstehen wie das Konzept funktioniert. Mit manchen fiebert man regelrecht mit. Hofft, sie bald nicht mehr als Kunden zu begrüßen. Drückt ihnen die Daumen bei der Jobsuche.
In einer Schicht kommen ungefähr 40 – 50 Kunden, erklären die Ehrenamtlichen. Dahinter stehen jedoch viel mehr Menschen. Meist kommt ein Familienmitglied um die Lebensmittel für die ganze Familie abzuholen. Das können schnell mal fünf oder sechs Personen sein.
Die Bandbreite an Kunden ist groß. Und genauso verschieden sind ihre Geschichten. Auch mit diesen werden die Freiwilligen immer wieder konfrontiert. Großfamilien die Unterstützung brauchen um ihre Kinder zu ernähren, Rentner die unter der Armutsgrenze leben – jeder Kunde bringt seine eigene Geschichte mit. Manche unterhalten sich gerne mit den Ehrenamtlichen darüber, andere nehmen schweigend ihre Lebensmittel entgegen.
Das Team übernimmt immer die gleiche Schicht. Einmal die Woche verteilen sie für zwei Stunden Lebensmittel. Vier Stunden am Tag ist die Lebensmittelausgabe in der Hauptstelle geöffnet, zwei Stunden am Vormittag, zwei Stunden am Nachmittag. Darüber hinaus gibt es noch Nebenstellen in anderen Stadtteilen.
In der Hauptstelle endet der Vormittag für die Ehrenamtlichen offiziell um 12 Uhr. Dann werden die letzten Kunden bedient und die Türen geschlossen. Doch damit ist es noch lange nicht getan. Nun müssen die Räumlichkeiten der Tafel noch aufgeräumt und für den Nachmittag vorbereitet werden. Lebensmittel, die noch nicht verteilt wurden, werden wieder in den Kühlraum gebracht. Der Boden wird gefegt und die Regale abgewischt. Erst gegen 13 Uhr ist die Schicht wirklich beendet und die Helfer können nach Hause gehen. Die Türen bleiben nun geschlossen, bis sie um 14:15 für die Nachmittagsschicht geöffnet werden.