„Die Konstruktion von maßgefertigten Möbeln mit filigranen Elementen, während Du bei der Arbeit den frischen Geruch von Holzspänen in der Nase hast“, so stellte ich mir den Alltag des Tischlermeisters Mats vor, als ich auf dem Weg zur Tischlerei war, in der er der Juniorchef ist.
Wenn Mats in Erscheinung tritt, dann macht er einen fröhlichen, jedoch auch ruhigeren Eindruck. Mit einer groben Cordhose („Zimmermannshose“), einem weiten Sweatshirt und langen Haaren, die er zu einem Zopf geflochten hat, öffnet Mats mir die Tür zur Tischlerei in der Nähe von Hamburg. Vor dem Büro von Mats schiebt sich der Pendelverkehr nach Hamburg vorbei. Der Lärm dringt bis zu seinem Schreibtisch. Mats arbeitet in einer kleinen Tischlerei, einer Traditionswerkstatt. An der Wand hängt der Meisterbrief seines Urgroßvaters, Großvaters und Vaters. An einer weiteren Wand hängt auch der Meisterbrief von Mats. „Das ist hier alles sehr alt, ich bin hier direkt neben der Tischlerei aufgewachsen.“ Die Tischlerei wurde von dem Urgroßvater von Mats im Jahre 1948 gegründet. Mats hat, genau wie sein Vater und Großvater, schon während seiner Schulzeit dort gearbeitet. In der Werkstatt stellen sie alles Mögliche her: von Schränken, Regalen, Tische bis hin zu Betten und Fensterbänken. Momentan führt Mats als Juniorchef gemeinsam mit seinem Vater die Tischlerei. Ab 2024 wird Mats die Tischlerei allein führen. Sowohl Mats als auch die Tischlerei, durch die er mich führt, sind mir sofort sympathisch.

Die Tischlerei wird ab 2024 in der vierten Generation von Mats geführt

Verantwortung übernehmen

Das Geschäft läuft gut. Trotz der „Corona-Krise“ war das Auftragsbuch der Tischlerei ordentlich gefüllt. Wenn Mats zurückdenkt, hatte die Tischlerei immer genügend Aufträge, um den Angestellten und seiner Familie ein Leben in bescheidenen Wohlstand zu ermöglichen. An Kurzarbeit war für den Juniorchef Mats während der Pandemie nicht zu denken. Die fünf Gesellen, der Auszubildende und die beiden Chefs arbeiteten in den ganzen Monaten der Pandemie unter strengen Hygieneregeln in der Werkstatt. Direkt am Eingang wird auf das Hygienekonzept der Tischlerei hingewiesen und an jeder Ecke werde ich erneut darauf aufmerksam gemacht. „Wenn sich jemand infiziert hätte, hätte dies uns schnell in finanzielle Schräglage bringen können. Wir konnten die „Jungs“ ja auch schlecht ins Home-Office schicken. Das Arbeiten in der Werkstatt oder bei den Kund*innen zu Hause gehört zu unserem Alltag. Zum Glück hat sich keiner infiziert. Mittlerweile sind auch alle geimpft.“, sagt Mats sichtlich erleichtert. Die Gesellen sind häufig die Hauptverdiener im eigenen Haushalt. Da besteht schon ein enormer Druck genügend Aufträge heranzuholen und erfolgreich umzusetzen, weil neben der eigenen Existenz von Mats auch noch die der Gesellen dranhängen, berichtet Mats.

Mats schneidet Holz für einen Schrank zu, copyright: Tim Ölkers

Das Telefon klingelt und ein Kunde ruft an. Dieser möchte noch einmal über das Angebot für den Einbau neuer Fenster sprechen. Mats sagt, er habe dem Kunden schon ein sehr gutes Angebot gemacht. Die Materialkosten sind in den letzten Monaten, insbesondere durch die Verzögerungen der globalen Lieferketten, explodiert. Nach kurzem hin und her bleibt der angebotene Preis für die Montage der Fenster bestehen. Souveränes und professionelles Auftreten für einen solch jungen Mann, denke ich nur.

Wie wurde Mats zu dem jungen Mann, der mir gegenübersteht?

Doch wie kam Mats zu seiner Anstellung? Nach dem Realschulabschluss begann er direkt eine Ausbildung zum Tischler in einer anderen kleinen Tischlerei ein paar Orte weiter. Nach der Ausbildung folgten zwei Jahre als Geselle im heimischen Betrieb und anschließend zog es Ihn nach Neuseeland. Dort arbeitete er ein Jahr lang als Tischler in verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben und reparierte Zäune für Schafsbauern, modernisierte Lagerhallen und half gelegentlich sogar bei der Ernte aus. Zurück in Deutschland ging es dann für zwei weitere Jahre nach Hildesheim, um einen Abschluss als Tischlermeister und Holztechniker zu machen. Die Technikerausbildung gilt als der höchste nicht-akademische Abschluss in Deutschland. Dieser ist gleichgesetzt mit einem Bachelorabschluss einer Hochschule. Nach zwei Jahren voller intensiver Projektarbeiten, Konstruktionen, Entwürfen und WG-Partys in der Stadt entschied sich Mats noch eine einjährige Weiterbildung als Holzgestalter zu ergänzen. Danach zog es Mats zurück in die Provinz in den heimischen Betrieb.

„Jede Baustelle ist anders. Das macht den Alltag als Tischler so abwechslungsreich. Du musst Dir ständig kreative Lösungen überlegen, um Probleme nachhaltig und effizient zu lösen.“

Mats, 25 Jahre, Tischlermeister in der Metropolregion Hamburg

Man merkt Mats sichtlich die Begeisterung für sein Handwerk an, während er mir voller Freude von der Tischlerei und kniffligen Situationen auf Baustellen berichtet. Im Hintergrund hören wir die Geräusche des Sägeblatts sowie die Späne beim Hobeln. Das ist die alltägliche Geräuschkulisse in der Werkstatt. Es wirkt fast meditativ auf mich. Insbesondere das Möbeldesign hatte es Mats angetan. Mats übernimmt die kreativen Tätigkeiten in der Werkstatt. Auf seinem Computer zeigt er mir stolz die aktuellen Entwürfe für einen Kleiderschrank.

Der Rolle von KMUs in der Deutschen Wirtschaft

Kleine und mittlere Unternehmen, sogenannte KMUs, bilden das „Rückgrat“ (DIW) und das „Herz“ (BDI) einer Volkswirtschaft. Laut dem DIW schaffen sie in den EU-Mitgliedsstaaten rund zwei Drittel aller Arbeitsplätze. Zusätzlich tragen diese Art von Unternehmen zu rund der Hälfte der gesamten Wirtschaftsleistung bei und beschäftigen die meisten Mitarbeiter*innen. Zudem bilden sie zukunftsfest aus und tragen erheblich zum Steueraufkommen in Deutschland bei. Daher genießt der deutsche Mittelstand ein hohes Ansehen, wie auch die pathetischen medizinischen Metaphern von DIW und BDI aufzeigen. Auch im angelsächsischen Raum gilt der „German Mittelstand“ als ideal für eine robuste, diversifizierte volkswirtschaftliche Unternehmensstruktur.
Dennoch ist der „German Mittelstand“ trotz seiner gesamtwirtschaftlichen Rolle vom sogenannten Fachkräftemangel betroffen. Das bedeutet, dass es auf dem Arbeitsmarkt nicht genügend qualifizierte Bewerber*innen gibt, um die freien Stellen in den Betrieben zu decken. Hinzu kommt das immer mehr sogenannte Babyboomer in den Ruhestand gehen und es schwierig ist eine Nachfolge für einen Handwerksbetrieb zu finden. Es gibt zwar Plattformen, betrieben u.a. von der KfW und dem Handelsblatt, auf denen Handwerksbetriebe eine Unternehmensnachfolge finden können, doch mit der Bereitstellung einer digitalen Plattform scheint das Problem noch nicht gelöst zu sein. Es geht um mehr als nur um ein „Missmatching-Problem“, bei dem Unternehmen und interessierte Nachfolger*innen nicht zusammentreffen können. Es liegt ein strukturelles Problem vor.

Individuell und handgefertigter Schachtisch, copyright: Tim Ölkers

Bessere Ausbildungskonditionen sowie eine höhere Entlohnung wären ökonomische Anreize, um das Handwerk für mehr junge Menschen attraktiver zu machen. Doch auch ein gesamtgesellschaftlicher Wertewandel muss her, denkt Mats. „Häufig werden wir auf Baustellen herabwürdigend oder geringschätzig behandelt. Stell ich mich dann jedoch als Junior-Chef der Tischlerei vor, dann werde ich von den Bauherr*innen ganz anders behandelt als die anderen Gesellen. Das ist schon ganz schön daneben…“, sagte Mats kopfschüttelnd. Das bei einem solchen Bild, junge Menschen keine Lust auf eine Lehre im Handwerk haben, kann er daher schon auch nachvollziehen. Die Handwerkskammer reagiert schon seit Jahren mit Imagekampagne aber auch in den „Sozialen Netzwerken“ gegen diese Vorurteile.

Dazu kommen ein massives Misstrauen und Vorurteile gegenüber dem Gewerke, berichtet Mats mir später. Handwerker seien zu teuer, Handwerker „schlampen bei der Arbeit herum“ und würde nur „Bier trinken“ sind nach wie vor Reaktionen, die Mats in seinem Alltag erfährt. Regelmäßig kommt es vor, dass Kund*innen denen das Angebot zuerst zu teuer gewesen sei, sich doch noch melden, weil ein anderer günstigerer Anbieter nicht angemessen geliefert hat. „Das ist manchmal natürlich ärgerlich, doch selbstverständlich helfen wir den Kund*innen und sind da nicht nachtragend. Dennoch bleibt bei den häufig sehr kleinteiligen und zeitintensiven Restarbeiten nicht viel Geld über.“ Qualität hat eben seinen Preis. Möbel, vom Möbeltischler sind natürlich teurer als bei Ikea, dennoch ist jedes einzelne Stück ein Unikat und wird individuell nach den Bedürfnissen der Kund*innen angefertigt. Allerdings können sich auch in Deutschland nicht alle Menschen maßgefertigte Möbel leisten, denn die sogenannte Schere zwischen arm und reich wird stetig größer.

Überstunden? Nicht für die Handwerksgesellen

Mats spricht das Problem von Überstunden an. Ein Thema, das ich noch gar nicht so auf dem Schirm hatte. Die Mitarbeitenden der Tischlerei haben eine 39 Stunden Woche. Doch Mats erwähnt, dass der Betrieb stolz darauf sei, dass die Mitarbeitenden keine Überstunden machen müssen. Denn das ist wohl, dank des großen Bau- sowie Modernisierungsbedarfs in Deutschland sowie der geringen Anzahl an qualifizierten Betrieben sehr üblich im Handwerk. Mir kommen sofort Bilder von Straßenbauarbeiter*innen, und Maurer*innen und Mitarbeitenden anderer Gewerke in den Kopf, die ich allein in Göttingen am Wochenende regelmäßig arbeiten sehen. Die Betonung dieser Aussage von Mats zeigt mir, dass dies auch in der Metropolregion Hamburg die Regel zu sein scheint. „Theoretisch hätten wir genug Aufträge, um auch an sechs Tagen in der Woche zu arbeiten, doch das sei doch kein Leben“, erzählt mir Mats bestimmt. Später erwähnt Mats jedoch, dass er jeden Tag, sieben Tage in der Woche, in der Werkstatt ist, um die Arbeitsvorbereitung zu organisieren, im Büro zu planen oder liegen gebliebene Tätigkeiten zu beenden. Mats nahm sich demnach bei der Aussage eine 39 Stunden Woche zu haben aus.

Wäre eine Ausbildung zum Tischler auch etwas für mich gewesen?

Nach meinem Besuch und dem Eintauchen in eine neue, kreative und abwechslungsreiche Welt ging es für mich dann wieder zurück in die Bibliothek an meine Masterarbeit. Was für ein Kontrast zu meinem persönlichen Alltag als Student und was für ein inspirierender Ausflug in einen klassischen familiengeführten Handwerksbetrieb in der Provinz. Von meinem ersten eigenen Gehalt nach meinem Studium möchte ich mir nun einen ordentlichen, maßgeschneiderten und auf meine Bedürfnisse ausgerichteten Schreibtisch in der Tischlerei von Mats bauen lassen.

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