San Francisco, 1989. Til Mette steht in einer Telefonzelle irgendwo in der Kalifornischen Millionenstadt, in der einen Hand ein mobiles Faxgerät, in der anderen einen Beutel voll mit Vierteldollar-Münzen. In Deutschland war das Faxen damals nur über die Deutsche Post möglich, für umgerechnet 2000 DM erwarb Mette jedoch eben jenes mobile Faxgerät in Großbritannien. Mit einem Akustikkoppler konnte das Gerät an jeden beliebigen Telefonhörer angeschlossen werden. Wahnsinnig aufregend und sensationell sei das damals für den gebürtigen Bielefelder gewesen. Ein einseitiges Fax dauerte dann auch eine geraume Zeit und man musste Acht geben, nicht zu viele schwarze Flächen zu zeichnen, da diese von dem Gerät nicht so gut erkannt wurden. Dennoch war diese Anschaffung lebensrettend für Mette. Als er 1992 mit seiner Frau in die USA auswandert, gibt er seinen Job als tagespolitischer Zeichner für die taz-Bremen auf. Das mobile Faxgerät ermöglicht es ihm, seine Cartoons weiterhin an deutsche Zeitungen zu verkaufen. Alternativ hätte es nur die Möglichkeit gegeben, eine Zeichnung mit FedEx zu verschicken, das war teuer und dauerte.
30 Jahre später braucht Mette kein mobiles Faxgerät mehr. Seit 1995 ist er für den stern als Cartoonist tätig und bestückt wöchentlich eine Seite mit hochaktuellen, manchmal bitteren und immer komischen Cartoons. Diese zeichnet der in Hamburg ansässige Künstler nach wie vor mit Stift auf Papier. Am Computer werden diese dann nachbearbeitet und dann als JPEG-Datei verschickt – ein Hoch auf die moderne Technik.
Kunst mit Mehrwert
Hamburg-Dammtor, 2019. Ich treffe Til Mette an einem kalten Januartag, es stürmt und schneit. Gemeinsam fahren wir zu seinem Atelier. Der langgezogene Raum ist lichtdurchflutet, Leinwände und Farben in jeder Ecke. An den Wänden hängen gerahmte Cartoons und Malereien – jedoch ohne Konzept. Da seien halt Nägel in der Wand gewesen und die Bilder habe er erst kürzlich von seiner letzten Ausstellung zurückbekommen, da habe er sie einfach aufgehangen. Der Mann hat ein Auge für Ästhetik. Ich bekomme einen Kaffee und darf in einem der bequemsten Campingstühle Platz nehmen, in dem ich je saß. Wir sprechen über den heutigen Stellenwert des Cartoons und Mettes tagtägliche Arbeit. Er erzählt eine Menge über seine Aufenthalte in Südamerika und den USA, seine Studentenzeit und die Mitbegründung der taz-bremen.
Schon als Kind habe er ein großes Interesse an Kunst gehabt. Das sei nie an ihn herangetragen worden, er sei einfach damit groß geworden. Sowohl Mettes Onkel, als auch sein Vater haben immer viel gezeichnet. In der Schule wählt Mette Kunst und Geschichte als Schwerpunkte. Seinen Abschluss macht er dann 1979 am Oberstufen-Kolleg in Bielefeld. Danach reist der damals 23-jährige ein Jahr durch Nord- und Südamerika. Als besonders einschneidendes Erlebnis bezeichnet er die Erfahrungen, die er in einem „Brot für die Welt“-Projekt in Lima gemacht hat. Das Projekt dient der Alphabetisierung der Indios, die in die peruanische Hauptstadt kommen um dort die Chance auf ein besseres Leben zu haben. Die Indios leben in den Slums von Lima, eine solche Armut sei unvorstellbar in Europa, so der Cartoonist. Mette arbeitet dort vor allem mit jungen Frauen zusammen. Seine Aufgabe besteht darin, den Indios spanische Vokabeln durch kleine Zeichnungen zu erklären. Damals sei das wie ein Geistesblitz für ihn gewesen, er habe es unglaublich gefunden, dass seine Zeichnungen jemandem helfen können, das Leben besser zu verstehen. Zeichnen wurde dadurch für Mette zu einer Tätigkeit mit Mehrwert. Nach dem Auslandsaufenthalt fängt er an, an der Universität Bremen Kunst und Geschichte auf Lehramt zu studieren. Lehrer wollte er jedoch nie wirklich werden. Um sich sein Studium zu finanzieren, fängt Mette dann bei verschiedenen Bremer Stadtzeitungen an, als Freelancer zu arbeiten. Dieses Interesse am Journalismus habe ihn zur Zeitungsarbeit gebracht. Die Karikatur an sich sei ja auch ein journalistisches Produkt, früher sollte diese Form der journalistischen Meinungsäußerung eher den Zweck erfüllen, eine moralische Instanz darzustellen, heutzutage gelte die komische Zeichnung als wichtiger, erklärt er.
Tagespolitisches Zeichnen
Schon in jungen Jahren hat Mette immer wieder Zeichnungen an renommierte deutsche Zeitungen, wie die Süddeutsche Zeitung oder die FAZ geschickt. Wenn die dann eine Karikatur von ihm veröffentlichten sei er immer unglaublich stolz gewesen. Im Jahr 1985 war Til Mette dann maßgeblich an der Gründung des Lokalablegers taz-bremen beteiligt. Dadurch habe er sich quasi selbst seine erste Festanstellung als tagespolitischer Zeichner geschaffen, so Mette. Es habe ihm immer Spaß gemacht für die taz-bremen zu zeichnen und die hohe Stückzahl an Zeichnungen, die er nun produzieren musste, habe seiner Karriere einen enormen Push verschafft. Dennoch sei dem Karikaturisten der stern nie aus dem Kopf gegangen. Schon damals bewirbt er sich mehrmals bei dem großen deutschen Magazin. Unter anderem auch, weil ihm mit der Zeit bewusst geworden war, dass der One Panel Cartoon eigentlich das sei, was er machen wollte. Das tagespolitische liegt ihm nach eigenen Aussagen gar nicht so gut, da er nie ein guter Porträtzeichner gewesen sei. Seine Stärke sei schon immer das Zeichnen von Situationen gewesen, sagt Mette.
Lebensabschnitt USA
Sieben Jahre nach der Gründung der taz-bremen zieht Mette dann mit seiner Frau nach New York City. Die Festanstellung bei der noch jungen Tageszeitung muss er somit aufgeben. Er entscheidet sich für ein Praktikum in San Francisco. Dank des eingangs beschriebenen mobilen Faxgeräts konnte Mette trotzdem Karikaturen an deutsche Zeitungen verkaufen. Ursprünglich haben sie nur zwei Jahre bleiben wollen, erzählt Mette. Danach seien sie auch bankrott gewesen. Noch immer hatte sich für ihn kein lukrativer Job in den USA ergeben. Es sei zwar eine große Ehre gewesen auch in amerikanischen Magazinen wie dem New Yorker gedruckt zu werden, das habe jedoch kaum Geld eingebracht, so Mette. Durch einen Zufall habe er dann im Wall Street Journal gelesen, dass der damalige Stamm-Zeichner des stern, Gary Larson, aufhörte und somit eine Stelle frei werden würde. Für ihn selbst sei diese Nachricht weltbewegend gewesen, in Deutschland habe sich dafür komischerweise niemand interessiert. Til Mette bewirbt sich also erneut beim stern und bekommt die Stelle. Somit war die finanzielle Not zu Ende und er und seine Frau konnten noch 13 weitere Jahre in den USA leben. Sie erlangen die amerikanische Staatsbürgerschaft und adoptieren zwei Kinder. Außerdem unterrichtet Mette zwei Semester Kunst an der Montclair State University.
Til Mette erzählt, dass er schon als Kind eine hohe Affinität zu amerikanischen Cartoons gehabt habe, er habe dadurch praktisch Englisch gelernt. Die Schlichtheit des typisch amerikanischen Zeichenstils, der Hang zum One Panel Cartoon in schwarz-weiß, kommt seinem eigenen Stil sehr entgegen. Er habe in den USA vor allem Handwerk gelernt, wie das Erzeugen von Perspektive und das Kürzen von Dialogen. Der Karikaturist Bob Mankoff übernimmt damals die Comic-Redaktion des New Yorkers und ebnet somit einer komplett neuen Generation an Zeichnern den Weg. Die „Neuen Wilden“ lösen die akademischen Zeichner ab, sie präsentieren neue Themen und einen neuen Zeichenstil. Diese Phase habe ihn sehr geprägt, so Mette.
In Hamburg angekommen?
Unter anderem wegen der beiden Kinder ziehen Til Mette und seine Frau dann 2007 wieder zurück nach Deutschland. Sie haben zwei Jahre gebraucht, um sich in Deutschland wieder einzuleben, erzählt er. Er liebe zum Beispiel den amerikanischen Pragmatismus, wo Deutsche immer nur diskutieren, hätten Amerikaner immer den Hang, Probleme lösen zu wollen, erklärt er. Aber auch Mette beobachtet die politische Entwicklung der USA mit Skepsis. Erst seit Kurzem erlebe er es, dass auch die liberalen Amerikaner ihren Optimismus langsam verlieren. Diese Entwicklung habe man lange nicht kommen sehen, sagt Mette. Seit 12 Jahren lebt der Cartoonist mit seiner Familie nun wieder in Deutschland, der Begriff Heimat ist für ihn jedoch schwer zu definieren. Ja, sein Heimatdorf in der Nähe von Bielefeld löse Heimatgefühle bei ihm aus. Das traditionelle Essen der Mutter, Dialekt, aber auch die Städte New York oder Hamburg könnten Heimat symbolisieren, erklärt er. Durch die Arbeit beim stern und seine Kinder fühle er sich an Hamburg gebunden, aber innerhalb Europas könne ja eh jeder in jedem Land wohnen und arbeiten, das gefalle ihm sehr. Auch ein zweiter Lebensabschnitt in den USA sei nicht ganz unrealistisch, man wisse ja nie was auf einen zukommt.
Seit 24 Jahren bedient Til Mette die stern-Leserschaft jetzt wöchentlich mit seinen Cartoons. Außerdem erscheinen seine Cartoons seit 2007 wöchentlich im Bremer Weser-Kurier. Ob der Cartoon jemals an Relevanz verlieren könne? Das glaube er nicht. Der Beruf des Cartoonisten sei jedoch trotzdem vom Aussterben bedroht, so Mette. Leute, die es gewohnt sind, tagtäglich mit Cartoons konfrontiert zu werden, werden diese auch immer wieder einfordern. Innerhalb der jüngeren Generationen habe er jedoch beobachtet, dass der Cartoon immer mehr an Bedeutung verliere. Der Cartoon an sich sei sehr kompatibel mit neuen Medien, damit einher ginge aber auch die Etablierung einer „Umsonstkultur“. Der Beruf Cartoonist erfordere aber eine Ernsthaftigkeit, die in der online-Welt so momentan nicht vorhanden sei, sagt Mette. Die Arbeit beim stern erfordere Professionalität und habe ihn in den letzten Jahren sehr geprägt. Das Magazin muss jede Woche zu einem bestimmten Zeitpunkt gedruckt werden. Freitags ist Abgabe. Jede Abteilung der Redaktion ist voneinander abhängig, so funktioniert das Zeitungsgeschäft. Diese Taktung bestimme nun seit mehr als 20 Jahren sein Leben, erzählt er. Montags und dienstags habe er noch Zeit anderen Projekten nachzugehen, zum Beispiel ein Interview wie dieses zu führen. Am Donnerstag stehe dann „hardcore“-Zeichenarbeit an. Eine Idee kann sehr schnell vorhanden sein, das Thema zu konkretisieren dauere meistens aber länger, erzählt der Cartoonist. Die Themen für den stern dürfen nicht tagesaktuell sein, da sie mit anderthalb Wochen Verzug erscheinen. Mette müsse seine Themen so generalisieren, dass die Leser diese auch mit vier Wochen Abstand noch einordnen können. Wenn man diese Arbeit über 20 Jahre lang tagtäglich macht, entwickele man eine Professionalität, die einen vor Blackouts bewahre. Das sei jedoch nicht immer so gewesen. In seinen Anfangsjahren habe er teilweise nächtelang vor einem weißen Blatt gesessen, dann hieß es Zähne zusammenbeißen und viel Kaffee trinken. Mette muss abliefern, egal was kommt. Das sei der Job, den er sich immer gewünscht habe und es erfülle ihn mit einer unglaublichen Dankbarkeit, diesen Beruf mit einer so großen Freiheit ausüben zu dürfen. Von Bielefeld nach Lima, Bremen, San Francisco, New York, Montclair und zurück nach Hamburg – Til Mette zeichnet sich um den Globus und tut dies mit größter Freude und Hingabe.
Bilder: Pauline Jo Noll
Auch wenn man schon das Eine oder Andere über Til Mette gelesen hat, gibt es in dem Portrait von Pauline Jo Noll noch einiges Neues zu entdecken.
Wie schön ist es doch, sagen zu können: Ich war von Anfang an dabei!
Klaus Wolschner