Noch ist alles still als ich an der Seite des Feuerwehrmannes das dunkle Gebäude betrete. Das Treffen der Kameraden beginne erst in einer Stunde, so wird mir erklärt. Er wolle mich vorher schon einmal im Gerätehaus herumführen und die wichtigsten Dinge erklären.
Lutz Appelt ist seit nunmehr 27 Jahren Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Othfresen, welche im vergangenen Jahr ihr 125stes Jubiläum feierte. Stolz zeigt er mir das Gruppenbild im Eingangsbereich, das lange Zeit früher entstand, als seine Haare noch nicht so stark ergraut waren. Heute soll ein gemeinsamer Dienstabend von zwei verschiedenen Gruppen im Gerätehaus stattfinden. Das Thema hierbei ist die Organisation der Einsatzstelle, welche später nach Eintreffen der Kameraden an einem Planspiel simuliert wird, bevor es hinaus in den Probeeinsatz geht. Konkret geht es darum, die Einsatzfahrzeuge im Ernstfall richtig zu positionieren, ohne den Verkehr oder eintreffende Rettungskräfte unnötig zu behindern.
Ich lerne die verschiedenen Räumlichkeiten kennen. Direkt neben dem Eingangsbereich und den Toiletten befinden sich die separaten Umkleidekabinen für Männer und für Frauen. Die reflektierenden Streifen der schweren, schwarzen Einsatzbekleidung stechen sofort ins Auge und lassen die Feuerwehrmänner und – frauen selbst bei schlechtem Wetter gut erkennen. Jeder Kamerad hat seinen eigenen Spind mit seiner eigenen Schutzausrüstung und seinem eigenen Helm, auf dem der jeweilige Name steht. Ferner befindet sich in dem Gerätehaus noch der Umkleideraum der Jugend- und Kinderfeuerwehr, deren Gemeinschaftsraum, der große Unterrichtsraum für die theoretische Ausbildung der Einsatzabteilungen und eine Küche. Des Weiteren gibt es einen Kommandoraum und einen externen Funkraum mit digitaler Einsatzbearbeitung. Wenn es dann zum richtigen Einsatz kommt, geht der umgangssprachlich genannte „Pieper“ los, wodurch die Kameraden sofort die wichtigsten Informationen zur momentanen Lage übermittelt bekommen.
Endlich kommen nach und nach immer mehr Kameraden in das Gebäude. Sie alle wirken gut gelaunt und es wird sich freundlich begrüßt. Einige von ihnen beginnen sogleich ohne Umschweife damit, bunte Platten aus den Nebenräumen zu holen und auf kleine Tische und Bänke in der Fahrzeughalle abzustellen. Die Platten sind eigens für anstehende Planspiele angefertigt worden. Auf ihnen wird das Dorf und seine weitere Umgebung grob als Miniaturformen dargestellt. Winzige, aber detailgetreue Häuser stehen an Straßen und Hügeln, neben ihnen künstliche Seen und Täler. Mit einem großen Lächeln im Gesicht erzählt mir Lutz, wie er selbst die ans Dorf angrenzenden Blitzer mit eingebaut hat. Die Liebe für das Detail ist an jeder Ecke der individuell zusammenschiebbaren Platten erkennbar.
Sobald das Konstrukt zufriedenstellend steht und der ganze Rest der Kameraden sich um das Planspiel versammelt hat, tritt der Ausbilder mit kleinen Spielzeugfeuerwehrautos vor und beginnt die heute anfälligen Einsätze zu simulieren. Schlagartig wird alles ruhig, wenn er anfängt zu sprechen. Der erste Einsatz soll einen Verkehrsunfall an einer Landstraße thematisieren, beim zweiten geht es um einen Löscheinsatz eines Mehrfamilienhauses. Höchst aufmerksam schauen die Kameraden zu, wie sich die Spielzeugautos auf den künstlichen Straßen bewegen. Immer wieder unterbricht der Ausbilder die Veranschaulichung, um Fragen zu stellen und zu beantworten. Wenig später bekommen die Kameraden selbst die Spielzeuge in die Hand gedrückt und sollen diese in korrekter Formation aufstellen. Manchen sieht man kurzes Zögern ins Gesicht geschrieben, doch letztendlich werden die Fahrzeuge selbstbewusst platziert und das Planspiel beendet. Der Ausbilder wirkt äußerst zufrieden und macht fortlaufend Späße mit seinen Kameraden. Da verwundert es nicht, dass Lutz mit seiner Arbeit bei der freiwilligen Feuerwehr „Kameradschaft, Freunde, nette Gespräche und, dass man noch was dazulernt,“ verbindet.
In der Fahrzeughalle stehen einsatzbereit vier verschiedene, eindrucksvolle Fahrzeuge in leuchtendem Rot, die nach Möglichkeit immer alle ausrücken. Der sogenannte Einsatzleitwagen wird mit einer Führungskraft besetzt und fährt an vorderster Front. Weitere Fahrzeuge sind das Hilfeleistungslöschfahrzeug sowie der Gerätewagen, welcher für die Logistik zuständig ist und unter anderem Beleuchtungsmittel und Container für die technische Rettung bietet. Das letzte Fahrzeug ist das Löschgruppenfahrzeug, das zwar löschen kann, aber kein eigenes Wasser an Bord hat. Von Innen sind die Einsatzfahrzeuge beinahe noch eindrucksvoller. Neben den zahlreichen Sitzmöglichkeiten gibt es unter anderem in manchen auch Tische, Funkgeräte und Computer.
Endlich geht es los. Die Kameraden hasten zu den Umkleidekabinen und danach sofort wieder zurück zu den Einsatzfahrzeugen. Alles geschieht in einer atemberaubenden Geschwindigkeit, ganz wie im Ernstfall. Jeder teilt sich selbstständig auf die vier Fahrzeuge auf. Zusammen mit Lutz, der Führungskraft und ein paar weiteren Feuerwehrmännern besetzen wir den Einsatzleitwagen. Es dauert nicht lange und schon geht es unter Blaulicht los auf die verregneten Straßen Othfresens – hinter uns die anderen Fahrzeuge dicht folgend. Während der Fahrt wird kaum gesprochen. Hin und wieder wird sich nur einmal über das schlechte Wetter beschwert.
Am Rande einer Landstraße, welche außerorts führt, steht bereits ein Pkw bereit, der einen Unfall simuliert. Das kleine Auto steht direkt neben einem schlanken Baum schräg zur eigentlichen Fahrbahn halb auf dem Feld und hat die Warnblinklichter angeschaltet. Die Einsatzfahrzeuge beginnen der Reihe nach um das Unfallgeschehen stehen zu bleiben, genau so, wie es zuvor im Planspiel geübt worden war. Die Feuerwehrmänner im Einsatzleitwagen steigen aus und beginnen mit Pylonen aus dem Frachtraum die Straße abzusperren. Das Blaulicht spiegelt sich in den dicken Regentropfen, die ihnen ins Gesicht wehen. Für zusätzliche Beleuchtung der Straßensperre sorgen Blitzlampen, welche auf die Pylonen gestellt werden. Das helle LED-Licht lässt sich selbst bei schlechtestem Wetter gut erkennen.
Lutz und ich beginnen im Regen zu den anderen Fahrzeugen zu sprinten und ich bewundere, wie fit er noch trotz seines Alters ist. Zweifelsohne hat die Arbeit bei der Feuerwehr ihren Anteil daran. Die Kameraden vor Ort haben bereits damit begonnen, eine große, rote Plane auf dem nassen Boden zu platzieren. Zeitgleich symbolisiert ein anderer Trupp die Sicherung des Pkw und versucht Zugang zum Fahrzeug zu bekommen. Die Plane dient der Geräteablage. Sämtliches Werkzeug für den Einsatz wird so gut sichtbar an einem Ort gesammelt, um schnell darauf Zugriff haben zu können. Nach kurzer Zeit folgt eine Besprechung der Lage und schließlich kann es nach dem Aufräumen weiter zum nächsten Schauplatz gehen. Lutz wirkt, wie seine Kameraden auch, sichtlich erleichtert, wieder das trockene Fahrzeug betreten zu können, doch diese Freude soll nur von kurzer Dauer sein. Sobald die Mannschaft in ihren Sitzen ist, setzt sich der wuchtige Einsatzleitwagen erneut in Bewegung.
Diesmal geht es wieder weiter in den Ort hinein. Hinter verschachtelten Straßen wartet der Einsatz an einem Mehrfamilienhaus auf die Feuerwehrleute. Hier ist es schon schwieriger, die großen Fahrzeuge durch die schmalen Gassen zu manövrieren und möglichst vorteilhaft zu positionieren, als auf der offenen Landstraße. Aber nach kurzer Zeit ist auch dies geschafft und es geht für alle wieder raus in den Regen. Direkt vor dem Gebäude gibt es erneut eine Lagebesprechung. Die Kameraden sollen so tun, als würde ein bestimmter Bereich des Gebäudes in Flammen stehen. „Eigentlich ist jeder Einsatz lebensbedrohlich“, sagt Lutz, als ich ihn nach gefährlichen Situationen befrage. „Grundsätzlich müssen wir immer sehr, sehr vorsichtig arbeiten und das lernen wir hier bei unseren Übungsdiensten.“
Schon wird sich gemeinsam an die Arbeit gemacht. Da es nun bereits dunkel ist, wird das Gebäude seitlich von Beleuchtungsmitteln bestrahlt. Ein Teil der Kameraden hat bereits die schwere Atemschutzausrüstung im Einsatzfahrzeug angelegt und macht sich nun für die Übung bereit, während wieder andere vor der Frontseite des Gebäudes stehen, um Löscharbeiten zu symbolisieren. Der sogenannte Angriffstrupp geht unter Atemschutz in das brennende Gebäude, falls sich noch Menschen in Not in diesem aufhalten sollten. Die zuständigen Kameraden tun nun so, als würden sie das Gebäude betreten. Kurz dahinter steht auch schon der Sicherheitstrupp bereit, welcher die Situation genauestens überwacht und eingreift, wenn etwas schiefgehen sollte.
Die Stellung wird kurze Zeit gehalten und dann erneut zur Nachbesprechung gerufen. Nass und auch etwas erschöpft wird von allen die große Ankündigung erwartet: Der Probeeinsatz ist vorüber und endlich kann sich jeder beim gemeinsamen Schaschlikessen seine Belohnung für die harte Arbeit abholen. Gut gelaunt geht es in Formation wieder zurück zum Gerätehaus. Das Essen muss allerdings noch kurze Zeit warten, denn zuerst muss aufgeräumt und alles wieder so hergerichtet werden, wie es zuvor war. Sollte es zu einem echten Einsatz kommen, muss es schließlich wieder schnell gehen. Nach dem Einsatz ist vor dem Einsatz.