Ist dies der Arbeitsplatz der Zukunft? Foto: Daniel Leander Strüh

„Der Tag beginnt, nichts hält dich mehr. Die Ampeln grün, nichts fällt dir schwer. Woher kommt plötzlich all die Energie?“

Untermalt von elektronischen Gitarren und einem Schlagzeug beginnt der Sänger der Düsseldorfer Band „Die Toten Hosen“ mit diesen Worten ihren Song „Energie“.
Laut knurrend dreht sich Sebastian Meier* in Richtung der Musik und fragt sich, wie fast jeden Morgen, warum er gerade dieses Lied als Ton des Weckers bei seinem Handy genommen hat. Mit einer Energieleistung hat sein Start in den Tag kaum Ähnlichkeiten. Der Weckton des Handys hat leider schon dreimal auf diese Weise versucht, Sebastian zu wecken. Doch dieses Mal soll es klappen: Langsam rekelt er sich und öffnet schließlich komplett seine Augen. Es ist 7:40 Uhr an einem Montag und der 23 Jahre alte Student der Politikwissenschaften muss dringend sein gemütliches Bett verlassen. Um viertel nach acht beginnt mit einem Seminar zu politischen Theorien seine Woche. Mühsam überwindet Sebastian seinen inneren Schweinehund und macht sich fertig für die Uni.

Schnell in einen Schokoriegel gebissen, Handschuhe und Schal angezogen und raus aus der Wohnung. Für ein ausgiebiges Frühstück reicht die Zeit nicht mehr. Pünktlich, aber komplett außer Atem kommt Sebastian an der Universität an. Die Fahrradständer sind bereits gut gefüllt und er hat Schwierigkeiten, einen Stellplatz für sein Rad zu finden. Letztendlich schließt er es an einen Metallbügel neben dem Gebäude „Theologicum“ und läuft zu seinem Seminarraum. Auf dem Weg dorthin begegnet er zwei Kommilitonen, mit denen er sich über die letzte Sitzung des Seminars austauscht. Während des Gesprächs stellt sich heraus, dass keiner von ihnen den Text zur Vorbereitung auf die nun folgende Sitzung komplett gelesen hat. Sie beschließen, sich bei der Vorstellung des Textes gegenseitig unter die Arme zu greifen.


Als Sebastian mir von diesem Montagmorgen berichtet, gehört Präsenzbetrieb an der Universität Göttingen bereits seit einiger Zeit der Vergangenheit an. Die Seminare und Vorlesungen finden nur noch über Videokonferenz-Plattformen wie Zoom und BigBlue-Button statt. Anstatt zur Universität zu fahren, setzt sich Sebastian nun jeden Morgen an den Laptop und hört seine Veranstaltungen auf diesem Wege an. Der Zeitpunkt seines dritten Weckers ist nun sein normaler Zeitpunkt zum Aufstehen. „Durch das Online-Semester ist mein sowieso schon schlechtes Zeitmanagement und meine Organisation noch schlechter geworden“, bedauert der Student. Durch das Wegfallen der Präsenz-Notwendigkeit fällt es ihm sehr schwer, seinem Alltag Struktur zu geben. „Vorlesungen, die als Aufnahme zur Verfügung gestellt werden, höre ich meistens gar nicht an. Erst denke ich, die Zeit anderweitig besser nutzen zu können, und dann vergesse ich die Vorlesung komplett.“
An einigen Tagen verlässt er sein Bett nur, um sich etwas zu essen aus der Küche zu holen. Dementsprechend sieht es manchmal in seinem Zimmer aus. In einer Ecke türmt sich Kleidung, die er „ja schon lange gewaschen haben wollte“, an einer anderen Ecke stapeln sich Pfandflaschen und auf dem Nachttisch locken Teller mit angetrockneten Essensresten einen Schwarm kleiner Fliegen an.

„Das Online-Semester hat meine schlechten Angewohnheiten potenziert.“

Sebastian Meier

Ein Lichtblick in dieser Zeit sind die Abende, an denen er im Fußballstadion zusammen mit seinen Freunden die gegnerischen Abwehrreihen schwindelig spielt und Tore wie am Fließband erzielt. Die Mannschaft gewinnt, die Fans jubeln, die Erfolge wachsen. Dann muss Sebastian sich leider aus dem Online-Multiplayer von Fifa 22 ausloggen, da zwei seiner Freunde schlafen gehen wollen. Zwischen den Spielen tauschen sich die Studenten über ihre Veranstaltungen und Themen des jeweiligen Alltags aus.

Den meisten von ihnen geht der Onlinebetrieb der Universität genauso auf die Nerven wie Sebastian. Sie haben Schwierigkeiten, die Ordnung in ihrem Studium zu bewahren, und verlassen ihre Wohnungen aus Angst vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus nur für Einkäufe. Den Einfluss des Onlinebetriebs auf das Sozialleben von Sebastian und seinen Freunden beschreiben sie als nicht so gravierend negativ wie den auf die Produktivität in ihren Studiengängen. Auch in der Zeit vor der Pandemie haben sie sich hauptsächlich online getroffen. Lediglich die gemeinsamen Mensa-Besuche und das Feiern in Diskotheken an den Wochenenden fehlen ihnen.

Insgesamt ist Sebastian unglücklich mit der Entwicklung seines Lebens unter der Corona-Pandemie und sieht den Onlinebetrieb als großes Risiko für sein persönliches Fortkommen an: „Mein Studium stagniert, aber ich habe durch den ewig gleichen Trott der Online-Veranstaltungen nicht die Kraft und Motivation, daran etwas zu ändern“, sagt Sebastian, während er traurig den Blick nach unten senkt.


Für alle Personen, denen es ähnlich geht wie Sebastian hat die Psychosoziale Beratungsstelle des Studentenwerks Göttingen eine Liste mit zehn Tipps zusammengestellt, die Studierenden dabei helfen sollen den Alltag während der Corona Pandemie besser zu bewerkstelligen. Die Tipps findet ihr hier.


Im Gegensatz zu Sebastian kommt Katharina Müller* mit ihrem Leben unter den Bedingungen der Corona-Pandemie etwas besser zurecht.

Die 23 Jahre alte Psychologie Studentin sieht die Online-Lehre im gewissen Maß als Chance für ihr persönliches Fortkommen an. So konnte sie insbesondere ihr Zeitmanagement während der Online-Lehre verbessern und hat so mehr Zeit für ihr Studium zur Verfügung. In dieser Zeit profitiert sie davon, dass sie eigentlich „schon immer ziemlich gewissenhaft und fleißig“ war. Diese Strebsamkeit während des Online-Semesters ist jedoch nicht ein Resultat der Arbeit am Bildschirm. Ähnlich wie bei Sebastian ist auch Katharinas Motivation im Vergleich zu der Zeit vor der Corona-Pandemie gesunken.

„Die Arbeit am Computer ist eintönig und insbesondere die soziale Nähe zu meinen Kommilitonen fehlt mir doch sehr“

Katharina Müller

Durch ihre Disziplin führt die geringere Motivation nicht dazu, dass ihr Arbeitspensum für das Studium abnehmen würde.

Das Online-Format der Veranstaltungen bietet für sie sowohl Chancen als auch Risiken. Die Chance besteht darin, dass es bei Seminaren als Videokonferenz möglich ist, den Meeting-Raum unauffällig zu verlassen, wenn die Veranstaltung als nicht sinnvoll angesehen wird. Ein Risiko sieht Katharina darin, dass man ohne die in Präsenz gegebene direkte Kontrolle des Dozenten dazu neigt, sich Ablenkungen wie dem Smartphone hinzugeben und so Inhalte des Seminars zu verpassen. Durch die vermehrte Ablenkung ist die für das Nachbereiten der Veranstaltungen benötigte Zeit größer.

Den größten Nachteil der Online-Lehre sieht Katharina jedoch in den erschwerten Bedingungen für Diskussionen und dem dadurch geringen Austausch unter den Studierenden. Der soziale Kontakt zu ihren Kommilitonen fehlt ihr auch in ihrer Freizeit. Alleine in ihrer Wohnung spielt sie gerne Klavier und macht vor ihrem Computer Übungen aus dem Online-Programm des Hochschulsports Göttingen. Durch die sportliche Aktivität fühlt sie sich halbwegs fit, doch das soziale Miteinander und die Freude, die sie ansonsten bei einem Training oder Spiel mit ihrer Basketball-Mannschaft empfunden hat, können die Kurse natürlich nicht ersetzen.

Auch Katharina wünscht sich möglichst schnell den normalen Alltag im Präsenz-Betrieb zurück, doch sie hat es gut geschafft, mit den Anforderungen eines Studiums unter den Bedingungen der Corona-Pandemie zurecht zu kommen. Mit dem Ende des Online-Betriebs hofft sie auch, ihre volle Motivation und Energie zurückzuerlangen, damit sie sich genauso fühlt, wie Sebastians Wecker es jeden Morgen verkündet : „Der Tag beginnt, nichts hält dich mehr. Die Ampeln grün, nichts fällt dir schwer. Woher kommt plötzlich all die Energie?“

Wer von euch auch Interesse an dem Online-Angebot des Hochschulsports hat, findet dieses hier.

*Die Namen der beteiligten Personen wurden von der Redaktion geändert.

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