Liebe geht durch den Magen, heißt ein altbekanntes Sprichwort. In der Gärtnerei von Kerstin Krämer und ihrem Lebensgefährten Andreas Lechte ist es die Solidarität auf dem Acker, die durch den Magen geht.
Der Grund: Kerstin und Andreas haben gemeinsam die Bioland-Gärtnerei Landolfshausen in der Nähe von Göttingen aufgebaut. Das war in den 1980er Jahren. Umweltschutz war und ist den beiden ein großes Anliegen, sodass von vornherein feststand, dass sie nach Bioland-Richtlinien wirtschaften werden. „Das hat uns am meisten überzeugt“, erzählt die Gärtnerin. Allerdings musste die Vermarktungsstruktur erst aufgebaut werden, da „Bio“ seinerzeit noch lange nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen war und oft belächelt wurde, wie sich Kerstin erinnert. Im Zuge politischer und gewinnorientierter Forderungen nach mehr Bio-Produkten, veränderte sich nach und nach das Angebot in den Supermärkten. Ebenso verlagerte sich das Verbraucherbewusstsein von „regional zu billig und stets verfügbar.“ Durch den enormen Preiskampf – ausgelöst durch Gemüse, das preiswerter aus anderen Ländern importiert wurde – konnten Kerstin, Andreas und andere kleinbäuerliche Erzeuger, ihr Gemüse im Laufe der Zeit nicht länger gewinnbringend über den Handel vermarkten. Diese „Zwickmühle“ der kleinbäuerlichen Produktion brachte sie zu einer Überlegung: der Konsument bezahlt für die Leistung des Erzeugers direkt bei ihm vor Ort. „Aber wie kann das umgesetzt werden?“
Eine neue Perspektive
Etwa zur gleichen Zeit entstand die Initiative „Göttingen im Wandel“. Die Idee: Städte und Gemeinden entwickeln Visionen, wie sie sich in Zukunft organisieren können, um wenig Energie zu verbrauchen und ein nachhaltiges und trotzdem zufriedenes Leben ohne Mängel führen können. Kurze Zeit später fanden Kerstin und Andreas einen Zeitungsartikel, in dem Erzeuger und Verbraucher gesucht wurden, um eine Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) zu gründen. Für den Landwirt bedeutet diese Anbau- und Erntegemeinschaft Planungssicherheit. Und die Verbraucher sehen, wie und wo ihre Lebensmittel erzeugt werden. Landwirt und Konsument teilen sich also nicht nur die Verantwortung und das Risiko, sondern auch die Kosten und vor allem: die Ernte. „Das ist vielleicht ein Weg!“, dachten sich die Gärtnerin und der Landwirt damals.
Die Überlegungen, wie genau die Solidarische Landwirtschaft mit allen Beteiligten realisiert werden kann und wie die Kunden erreicht werden, war ein zäher Prozess, erinnert sich Kerstin. Anfangs seien die Mitglieder, die auch als Mitgärtner bezeichnet werden, skeptisch gewesen, ob sich die SoLaWi in der geplanten Form umsetzen lässt. Einigen erschien es zu verwegen sich festzulegen und ihre Ernährung plötzlich umzustellen. Denn: es gab ja nicht mehr zu jeder Jahreszeit alles Gemüse, sondern nur das, was gerade auf dem Feld oder im Gewächshaus der Gärtnerei Landolfshausen wuchs, erzählt mir Kerstin schmunzelnd.
Letztlich hat sich die Solidarische Landwirtschaft von Kerstin und Andreas etabliert. Bestimmt auch, weil sie mit dem Konzept einer nicht-industriellen und marktunabhängigen Landwirtschaft zu den ersten fünf Höfen in Deutschland gehörte. Inzwischen arbeiten über 90 Betriebe deutschlandweit mit dem Konzept der Solidarischen Landwirtschaft und weitere 100 Solidarhöfe befinden sich in der Gründung. Den viel größeren Erfolg sieht Kerstin aber in der Gemeinschaft miteinander. Die Solidarität schwappt auch auf andere Lebensbereiche über, zum Beispiel ist die Idee entstanden sich innerhalb der Solidarischen Landwirtschaft zinslos Geld zu leihen. Dieses gemeinschaftliche Miteinander, sich gegenseitig zu unterstützen und auszuhelfen, wird sich bestimmt noch in weiteren Bereiche zeigen, ist die Gärtnerin überzeugt. Und weil sich das Prinzip der Solidarität so positiv entwickelt, werden auch die landwirtschaftlichen Tätigkeiten stetig optimiert.
Arbeitspferde auf dem Acker – Vergangenheit oder Zukunft?
Kerstin liebt Pferde, Andreas auch. In ihrer Freizeit reiten sie gerne aus. Für die beiden Grund genug, über eine alte Tradition in der Landwirtschaft nachzudenken: seit einiger Zeit werden die Pferde auch zur Arbeit auf dem Feld eingesetzt.
Die Idee hatte Andreas, denn er wollte mehr mit den Pferden machen, als nur zu reiten, wie Kerstin erzählt. Außerdem sind die Traktoren (=Schlepper) so alt, dass einige Stunden auf dem Schlepper mehr zu schlechter Laune führen, als zu einem Erfolgserlebnis über die getane Arbeit. Und den hohen Dieselverbrauch der alten Traktoren sehen beide ebenfalls skeptisch. Ein neuer Schlepper kam somit nicht in Frage. Zudem sei die Arbeit mit den Pferden deutlich bodenschonender. „Das zeigen auch wissenschaftliche Studien“, erklärt die Gärtnerin. Also bildeten Kerstin und Andreas zwei Ponys und zwei Kaltblütler für die Arbeit auf dem Acker aus. Inzwischen werden in der Gärtnerei Landolfshausen einige Arbeiten mit den Pferden gemacht: das Miststreuen, das Grubbern – also das Durchmischen des Oberbodens auf dem Acker – das Unkraut hacken und das Wiesen begradigen (Walzen und Abschleppen), um das Wachstum der Gräser anzuregen. Das Ausreiten kommt trotz der Arbeit aber nur manchmal zu kurz, verrät Kerstin.
Kerstin trägt heute ihre Arbeitskleidung: eine Jeans mit Erdflecken und einen blauen Fleecepullover, denn sie war heute Morgen schon im Gewächshaus. Sie liebt ihren Beruf, auch wenn es bedeutet bei jedem Wetter, so wie an dem heutigen trüben Tag, rauszugehen: Unkraut hacken, die Pferde versorgen und so weiter. In der Gärtnerei gibt es immer genug zu tun und jeder Tag ist anders. Dennoch gibt es im Wochenablauf eine gewisse Routine. Da freitags immer Gemüse ausgeliefert wird, wird mittwochs zuvor ein Plan erstellt. Am Donnerstagmorgen werden dann die Bestellungen geerntet, gewaschen und in Kisten gepackt. Die Verteilung des Gemüses ist praktisch organisiert: Die „Mitgärtner“ haben privat und selbstständig Verteilerstellen aufgebaut. Dort wird das Gemüse von einem Mitarbeiter aus der Gärtnerei Landolfshausen abgegeben. Die Mitgärtner können sich dann ihren Anteil dort abholen. Damit klar ist, wie der Finanzbedarf der Gärtnerei im Laufe des Jahres ist, stellt der Gärtnerhof zu Beginn des Jahres seine Kalkulation vor. Daraus ergibt sich ein bestimmter Betrag für jeden Anteil. Die Mitgärtner und die Gärtnerei legen sich dann für ein Jahr verbindlich fest, am Projekt der Solidarischen Landwirtschaft teilzunehmen. „Jeder, der möchte, kann sich beteiligen.“ Dabei ist der April der Beginn des Jahres. Die Mitgärtner haben außerdem noch die Möglichkeit an den sogenannten „Mittmachtagen“ bei den anfallenden Arbeiten mitzuwirken: dann steht zum Beispiel Unkraut hacken auf dem Plan, Zäune setzen oder Kartoffeln sammeln. Zudem gibt es jedes Jahr Betriebsführungen, bei denen sich die Mitgärtner selber ein Bild vom Gemüseanbau in der Gärtnerei Landolfshausen machen können. Regelmäßige „Liefer-E-Mails“, wie Kerstin sie nennt, bringen zudem die aktuellsten Informationen. Zusätzlich verkauft der Gärtnerhof Landolfshausen von April bis November samstags auf dem Göttinger Wochenmarkt ihr Gemüse.
Wenn das nicht ein Grund ist, beim nächsten Wochenmarkteinkauf das Gemüse aus Landolfshausen zu probieren und im nächsten Jahr mal Mitgärtner zu werden?! Denn dann weiß ich wenigstens ganz genau, wo mein Gemüse herkommt und wie es angebaut wird.