Monika beim Schreiben einer Seminararbeit (Foto: Lara Tieke)

Studium trotz Vollzeitjob

Monika Christen schaltet das Licht ihrer Schreibtischlampe an. Sie ist gerade von ihrer Vollzeitarbeit, bei der häufig Überstunden gemacht werden müssen, nach Hause gekommen. Während sie darauf wartet, dass ihr Windows 98 Computer hochfährt, öffnet sie gespannt das Paket, dass an diesem Tag eingetroffen ist. Es sind die Kursunterlagen für das nächste Semester. Monika studiert neben ihrer Arbeit an der Fernuniversität Hagen. Ihr Fach: Wirtschaftswissenschaften.
Nach einer Ausbildung zum Bürokaufmann, denn die weibliche Bezeichnung für diesen Beruf gibt es zur Zeit ihres Abschlusses noch nicht, will sie noch mehr erreichen. Also macht sie als eine Weiterbildungsmaßnahme die Ausbildereignungsprüfung. Damit aber noch nicht genug. Sie lässt sich über zweieinhalb Jahre bei der Industrie- und Handelskammer zum Bilanzbuchhalter ausbilden. Diese Weiterbildung findet nach ihrer Vollzeitarbeit in einer Abendschule statt. Aber selbst nach diesem Abschluss strebt sie noch nach mehr. Sie ist noch nicht fertig. Als Monika auf der Arbeit im Controlling mit einer Kollegin ins Gespräch kommt sagt diese zu ihr: „Ich habe mich gerade zu einem Fernstudium angemeldet. Wäre das nicht auch was für dich?“ Nach intensiver Recherche meldet sich Monika schließlich im Alter von 30 Jahren an.
Fernstudium. Ein schwieriges Unterfangen. Nicht wenige brechen wieder ab. Häufig, weil sie sich nicht mit Anderen über das Studium austauschen können oder sich selbst schlecht organisiert haben. Teilweise beeinflusst ein Fernstudium das persönliche Umfeld stark. Denn ein Fernstudium ist vor allem Eines: zuhause Lernen. Das zu organisieren und mit seinem Privatleben und dem Beruf in Einklang zu bringen, ist ein Drahtseilakt der Extraklasse. Trotzdem hat vor allem im letzten Jahrzehnt die Anzahl der Fernuniversitäten und Fernstudenten stark zugenommen. Laut der Fernuniversität Hagen, an der auch Monika ihren Abschluss im Sommer 2007 macht, brechen ungefähr 70 Prozent der Studierenden vorzeitig ab. Zum Vergleich: An Präsenzhochschulen verlassen im Durchschnitt 33 Prozent der Absolventen ohne Abschluss die Hochschule.

Monika beim Schreiben einer Seminararbeit (Foto: Lara Tieke)

Mit der lauten, für Microsoft typischen, Tonfolge signalisiert Monikas Computer ihr, dass er hochgefahren ist. Monika setzt sich vor den Röhrenbildschirm, der neben der schwarzen Schreibtischlampe, die ganze Fläche ihres 50 Zentimeter breiten Schreibtisches einnimmt. Sie zieht die Tastatur hervor, die sich auf einer Schiebefläche unterhalb der Tischplatte befindet und beginnt zu lernen. Jeden zweiten Tag nimmt sie sich nach der Arbeit bis zu drei Stunden Zeit dafür. Wenn es angeboten wird, besucht sie um 18 Uhr eine Veranstaltung der Fernuniversität im Fernstudienzentrum in Oldenburg. Dort hat, zur Zeit ihres Studiums, die Fernuniversität Hagen ein lokales Zentrum, in dem auch Präsenzveranstaltungen stattfinden. Dieser Mix aus zuhause studieren und bei Seminaren mit anderen Studierenden in Kontakt zu kommen, sowie die Möglichkeit Dozenten direkt Fragen zu stellen, ist der Grund, warum Monika ausgerechnet die Fernuniversität Hagen gewählt hat. Diese Kurse sind, wie alles im Fernstudienprogramm, kostenpflichtig und finden teilweise auch am Wochenende statt. Monika meint: „Die waren gut, weil man mit Hilfe der Kurse besser in das Thema reinkommen konnte.“

Für Prüfungen weit fahren

Bei diesen Präsenzveranstaltungen, die alle optional sind, bildet Monika mit einigen anderen Studierenden eine Lerngruppe. Gegenseitig unterstützen sie sich in den Fächern, in dem jemand nicht so stark ist und bereiten sich auf die Prüfungen vor. Die Prüfungen finden in den Semesterferien statt. Dafür muss Monika im Grundstudium nach Bremen oder Osnabrück fahren, um an der Zentralprüfung teilnehmen zu können. Dafür bildet sie mit einigen anderen Studierenden aus Oldenburg eine Fahrgemeinschaft, um die Fahrtkosten zu minimieren. Abwechselnd fahren sie zu dritt oder viert zu der Universität an der die Prüfungen stattfinden. Im Auto herrscht eine aufgeregte Stimmung. „Oft waren wir viel zu früh da.“ Die Gruppe folgt den Hinweisschildern, zum richtigen Raum. Nach einiger Zeit Suche ist der richtige Raum gefunden und die Prüfungen können beginnen. Am Ende des Tages ist Monika erschöpft von der jeweiligen Prüfung, aber froh, es hinter sich gebracht zu haben. Jetzt heißt es auf die Ergebnisse warten.
Später im Hauptstudium fährt Monika für ihre Prüfungen zur Heinrich-Heine Universität in Düsseldorf. Für jede Strecke ist sie drei Stunden unterwegs. Da sie sich auf Betriebliches Steuerwesen sowie Personalführung und Organisation spezialisiert, ist eine Fahrgemeinschaft nicht mehr möglich. Die Prüfungen bestehen nicht, wie es heute häufig der Fall ist, aus Fragen, die am Computer beantwortet werden müssen, sondern aus Prüfungsbögen aus Papier. Anfang der 2000er Jahre sind Computer noch nicht zu einem alltäglichen Gegenstand geworden, der in jedem Haushalt zu finden ist. Aber das Studium motivierte Monika dazu, sich im zweiten Semester, einen Computer zuzulegen. Darauf kann sie ihre Einsendearbeiten, die innerhalb des Semesters eingereicht werden müssen und später auch die Seminararbeiten und die Diplomarbeit schreiben. „Außerdem ist es digital besser lesbar.“, meint Monika.

Monikas Arbeitsplatz während des Studium (Foto: Monika Christen 1998)

Balance zwischen Studium und Freizeit

Obwohl Monika bereits den Bilanzbuchhalter in der Tasche hat, muss sie erneut die Kurse in Betriebswirtschaftslehre belegen und die Prüfungen des Grundstudiums ablegen. Denn die Fernuniversität Hagen rechnet ihr ihre vorhandenen Leistungen nicht an. Der Grund: die Leistungen wurden bei der Industrie- und Handelskammer erworben und nicht in einer universitären Einrichtung. Weiter muss sie Kurse in Mathe, Recht, EDV, Mircoökonomie, Makroökonomie und Statistik belegen, um das Grundstudium abzuschließen. Bei Mathe sagt sie sich selbst: „Wenn ich durchfalle, höre ich auf!“ Sie fällt durch. Sie hört nicht auf. Nach einem zweiten Versuch gelingt ihr schließlich die Matheprüfung. In jedem Semester muss sie Einsendearbeiten abgeben, um später zur Prüfung zugelassen zu werden. Dafür recherchiert sie auch in der Bibliothek der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg, die für ihr Themengebiet gut ausgerüstet ist. Da sie als Studentin eingeschrieben ist, ist es für sie kein Problem Zugang zur Bibliothek zu erhalten. Am Ende des Grundstudiums schließt sie zufriedenstellend ab. Im darauf folgenden Hauptstudium beschäftigt sie sich mit allgemeiner Betriebswirtschaftslehre und allgemeiner Volkswirtschaftslehre, ehe sie sich spezialisiert. Am Ende hat sie den Ehrgeiz auch fertig zu werden. Schließlich beginnt sie ihre Diplomarbeit, über ein Thema im Bereich Steuern, zu schreiben.
In dieser Zeit bleibt wenig Zeit für anderes. Familie und Freunde kommen während des gesamten Studiums dennoch nicht zu kurz. Etwas, auf das Monika sehr viel wert legt. „Mit den Freunden aus der Fernuniversität ist man später nicht mehr befreundet, weil man nur das Studium gemeinsam hat.“ Also sorgt sie dafür ihre bisherigen Freunde nicht dadurch zu verlieren, keine Zeit mehr wegen des Studiums zu haben. An den Wochenenden und an einigen Abenden in der Woche nimmt Monika für sie Zeit. Andererseits nehmen ihre Freunde Rücksicht auf ihr Studium. Das führt allerdings dazu, dass ihre Freunde nicht wissen, wann sie anrufen können, ohne sie beim Lernen zu unterbrechen. Monika setzt ihre Priorität auf ihre Familie und Freunde. Außerdem macht sie weiterhin Sport. Aber damit sie neben der Arbeit genug Zeit für das Studium aufbringen kann, muss sie dennoch auf etwas verzichten. Sie tritt aus dem Chor aus. „Das war für mich persönlich das Einleuchtendste. Sport wollte ich nicht aufgeben. Man muss sich schließlich bewegen.“
Auf dem Computerbildschirm flimmert schwarze Schrift auf weißem Untergrund. Am Ende des Textes blinkt der Courser beständig. Für Monika ist für diesen Abend Schluss. Sie speichert das Dokument und fährt den Computer herunter. Plötzlich ist es ganz leise. Das Brummen des Windows 98 ist verstummt. Sie schaltet die Schreibtischlampe aus. Draußen ist es bereits dunkel. In zwei Tagen geht es weiter mit dem Studieren.

Monikas Diplomarbeit zum Thema Steuern (Foto: Lara Tieke)

Am Ende zahlt sich das Studium aus. Noch ehe sie ihr Diplom in der Hand hält, bekommt sie, aufgrund ihrer internen Bewerbung, bei ihrem Arbeitgeber die dort ausgeschriebene Stelle. Am 29.07.2007 ist es nach zehn Jahren endlich so weit: Monika darf sich jetzt Diplom-Kauffrau nennen.

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