Elternschaft: Ein kleines Wesen gesellt sich zu allem hinzu, was es bisher gab. Es eröffnet sich damit eine ganz neue Welt. Eine Welt, die oft mit dem Wort Familie assoziiert wird. Doch wie kommt man an diese Weggabelung, an den Ort, an dem darüber gesprochen wird, ob man ein Kind bekommt? Kompass, Landkarte – was braucht es? Wann sollte man wie und mit wem wo Kinder bekommen? Welcher Lebensabschnitt und welche Lebenssituation sind passend dafür? Es gibt verschiedene Instanzen, die dazu eine Meinung haben: Ratgebebücher, wissenschaftliche Studien, gesellschaftliche Erwartungshaltungen und das persönliche Umfeld. Wie sich Familie findet, ist auch eine viel diskutierte Angelegenheit – meist steht am Anfang die Frage danach, wie sich das Elternpaar denn kennen gelernt habe: Wo ist der Ort dafür? Am Arbeitsplatz? Im Klassenzimmer? Auf der Party? Beim Umzug einer Freundin? Seit einiger Zeit ist der erste Kontakt oder die Frage nach einem ersten Date keine, die zwangsläufig im persönlichen Gespräch aufkommt, sondern via Internet. Ein Cursor, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort klickt.

Wenn sich Paare über das Internet finden, warum dann nicht auch Familie?

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Internetplattformen erfreuen sich einer unglaublichen Beliebtheit. Eine neue Form derer sich auch die „Familyship“ bedient: der erste Kontakt wird mit dem Austausch über und dem potentiellen Teilen von Alltag verknüpft. Seit Ende 2011 ist das Portal online und bietet die Möglichkeit sich mit einem eigenen Profil zu registrieren. Portrait Familyship 1 Dabei wird unter allerlei Herangehensweisen unterschieden. Gemein ist den Angemeldeten der Kinderwunsch. Ob dieser als leibliches oder als Co-Elternteil gestaltet wird, wird in den Profilen genannt.

„Kinderwunsch? Bei Familyship kannst du mit Menschen in Kontakt kommen, die auf freundschaftlicher Basis eine Familie gründen“ lautet die Begrüßung auf der Seite des Portals.

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Ursprung dieses und damit die sozialen Eltern sind Christine Wagner und Miriam Förster aus Berlin. Beide waren zu dem Zeitpunkt ein lesbisches Paar auf der Suche nach einem Vater für ihr gemeinsames Kind. Wie kommt man zu einem Vater für das Kind, wenn man keine Liebesbeziehung mit ihm eingehen will und sich keine anonyme Samenspende, sondern sich einen teilhabenden Vater wünscht?
Diese Frage oder die nach einer Mutter für das gewünschte Kind, stellen sich neben Christine und Miriam auch andere Menschen – Einzelpersonen, ebenso wie Paare.
Christine ist die Networkerin der Seite, Miriam die Konzeptorin mit den technischen Grundlagen. Sie sind gut vernetzt mit Lesben- und Schwulenverbänden und Regenbogenfamilien-initiativen. Das Herausstellungsmerkmal von „Familyship“ ist seine im Mainstream als unkonventionell gehandelte Herangehensweise Familie zu denken und Eltern als Freund*innen zu entwerfen.
Für das Co-Parenting, die Teilhabe an Elternschaft ohne selbst biologisch beteiligt zu sein, gibt es verschiedene Wege. Familie kann ebenso vielfältig gestaltet werden. Es geht eben nicht alleinig darum, eine Schwangerschaft zu ermöglichen, wie dies auf anderen Seiten zur Vermittlung von Samenspenden suggeriert wird. Familie ist die Idee – eine Idee, die auf platonischer Ebene noch in den Kinderschuhen zu stecken scheint. Im Fall von Christine und Miriam, den beiden Gründerinnen des Portals, hat die Suche sie zu Gianni geführt. Doch ein gradliniger Prozess war dies, wie beide sagen:
„Irgendwann war klar: Wir wollten einen Vater zu dem Kind. Günstigstenfalls den biologischen. Wir brauchten einen Mann, der sich ebenso wie wir auf die Suche begeben musste und für den es dann ebenfalls nur diese eine exklusive Familie geben würde. Ein schwuler Mann. So suchten wir im Internet. Wir fanden blinkende und flackernde Bitte-hier-klicken-und-da-bezahlen-Seiten mit klitzekleinen Spalten, in denen Haarfarbe, Größe, Gewicht und Schulabschluss standen, dazu irgendwelche Fotos mit Muskeln oder geradegezogenen Scheiteln. Da kam unweigerlich das Gefühl auf, doch nichts weiter als ein Säugetier zu sein. Und das war mir irgendwie zu wenig,“ schreibt Christine über ihre eigene Geschichte später im Blog auf „Familyship“.

Eine Freund*innenschaft zwecks Elternschaft.

Beide suchen in dem weiteren Elternteil „auch eine Nähe, die keinen besonderen körperlichen Mindestabstand fordert und doch eine Zurückhaltung innehat.“ Es gäbe „andere Bedürfnisse als in einer Partnerschaft und das Wissen um Langfristigkeit mit dem nötigen Respekt davor. Eine Beziehung mit platonischer Liebe und dem ähnlichen Hoffen, dass sie ewig währt.“
Ewig – ein schwieriger Anspruch, dem sich Eltern gegenüber sehen, wenn es um Zukunftsplanung geht. Denn egal wie sich die Beziehung zwischen Elternteilen  verändert, Eltern bleiben sie gemeinsam. Auch der Weg von Christine und Miriam entwickelt sich anders, als beide zunächst angenommen haben. Die beiden, die eine Beziehung und die Passion für eine Familie jenseits traditioneller Familienkonventionen teilen, treffen eine Entscheidung, die einen Bruch darstellt, wie sie sagt: Die beiden trennen sich. Christine beschließt „weiterzumachen“, auch als Single-Frau. Sie lässt eine Beziehung hinter sich, nicht aber den Kinderwunsch:
Sie und Gianni verabreden sich in Moskau, da er dort beruflich zu tun hat. Es ist ein zweckgebundenes Treffen. Nicht einmal in ihrem Reiseführer habe sie gelesen. Ein paar Tage und Nächte in Russland. Zum Abschluss „noch schnell zur Duma, einen Mittelfinger erheben und das auf Facebook posten, Russland hatte gerade sein Homophobie-Gesetz beschlossen. Dann die Trennung, zwei unterschiedliche Flughäfen, zwei unterschiedliche Richtungen.“
Familiengründung ist auch politisch, insbesondere in einer Welt, in der die Annahme einer Liebesbeziehung zwischen Elternteilen vorherrscht. „Familyship“ ist daher der Pluralisierung von Familienkonstellationen und der Sichtbarkeit dieser verpflichtet: Um sich als Familiengründer*in registrieren zu lassen, andere Profile sehen und das eigene gestalten zu können, fällt ein einmaliger Betrag von 17,90€ an – 10% davon gehen an Organisationen, die sich für die Rechte alternativer Lebensformen engagieren.
Zurück in Berlin erfolgen für Christine und Gianni weitere Versuche. Ernüchterung, Zeitmanagement und Frustration gesellen sich hinzu. Kinderwunsch ist ein Projekt, so wie bei vielen Paaren. Es bedarf der Verabredungen und der nötigen Organisation. Für Christine und Gianni gibt es schließlich den positiven Schwangerschaftstest, Besuche in Italien bei seiner Familie und in Deutschland bei Freund*innen und Verwandten. Sie bekommen ihr Kind. Die Betten im Familienzimmer werden von ihnen nicht zusammengeschoben, oft werden sie jedoch als Ehefrau und Ehemann von anderen adressiert – die Annahme eines Paares ist dominant. Wie sie damit jeweils umgehen, ergibt sich in der jeweiligen Situation. Das gesellschaftliche Bild ist nach wie vor geprägt durch das Vater-Mutter-Kind-Modell.

Neben dem Idealismus reale Lebenswelt

Entkoppelt von Partnerschaft kann vieles bedeuten, auch rechtlich ist die heterosexuelle Ehe das steuerlich geförderte Modell. Christine resümiert Einschnitte, die sie für sich als Frau gegenüber Gianni, dem biologischen Vater ihres Kindes, aufzuweisen hat: Nur 60% Lohnfortzahlung, ausgebliebe Schritte auf der Karriereleiter der Vollzeittätigkeit und der beruflichen Entwicklung des Mannes gegenüber. Herausforderungen, die die Lebensplanung mit Kind mit sich bringen, zumindest nach der aktuellen deutschen Rechtslage. Einer Rechtslage, die der sozialen Wirklichkeit nur bedingt Rechnung trägt und eher hinkt, denn voranschreitet.
Auf „Familyship“ gibt es Einblicke in geglückte Familienkonstellationen – Menschen, die von ihrem Glück erzählen, einander gefunden und gemeinsam ein Kind bekommen zu haben. Die Leerstellen dieser Erzählungen fehlen.  Vorrang haben nachwievor biologische Eltern und nur zwei Elternteile sind als solche in Papieren zulässig. Als Co-Elternteil bleibt man dabei womöglich auf der Strecke, sollten sich die leiblichen Eltern beispielsweise trennen, teilen nur sie sich das Sorgerecht. Das deutsche Rechtssystem ist dabei noch nicht so vielfältig und offen wie die familiäre Lebensrealität. Anders verhält es sich da im kanadischen Bundesstaat British Columbia. Seit 2013 können dort bis zu vier Elternteile festgehalten werden. Voraussetzung hierfür ist eine Beteiligung hinsichtlich der Geburt und eine vertragliche Regelung vor dieser: «Personen, die an der Entstehung des Kindes beteiligt sind und die Verantwortung in der Erziehung übernehmen». So schildert es die Anwältin Barbara Findlay.
Es liegen Chancen in dem Co-Parenting-Modell. Einer Konzeption von Familie, die eine partnerschaftliche Liebesbeziehung und das Elterndasein voneinander zu trennen weiß. Verschiedene Elternteile und damit Bezugspersonen ermöglichen ein anderes „Auf-das-Kind-eingehen“. Co-Parenting kann zu einem neuen Erleben und Denken des Elternseins führen. Zeit lässt sich anders planen. „Familyship“ setzt dort an und ist ein Anstoß – es gibt keine Garantie für nichts, lediglich eine neue Chance. Die Community lebt vom Austausch, Eltern leben vom Austausch. Familie bleibt ein einzigartiges Projekt, das jeweils eine besondere Aufmerksamkeit fordert.

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Die fürsorgliche Ausgestaltung zwischen Eltern findet zwischen bunten Kinderzeichnungen, Plastikgeschirr mit Tiermotiven und mündlichen wie auch schriftlichen Vereinbarungen statt. Seit ein paar Jahren auch zwischen Menschen, die sich irgendwann einmal durch die Profile einer Plattform für Co-Parenting geklickt haben, um sich schließlich kennen zu lernen. „Eltern wird man nicht am Tag der Geburt. Das ist nichts, was man prinzipiell kann.“ Man kann sich dafür entscheiden. Ein erster Schritt in die Welt des Elterndaseins, der blinkende Cursor in einem Chatprogramm.


„Familyship“
Nach dem Zusammenschluss mit dem Schweizer Pendant „Family Project“ umfasst „Familyship“ fast 3000 Nutzende. Die Mission: „Die Umsetzung eines alternativen Familienmodells, das zwischen den biologischen Elternteilen nicht auf Liebesbasis fußt und von Partnerschaft entkoppelt ist.“

Regenbogenfamilie: Beitrag des Fernsehsenders RBB
http://www.rbb-online.de/abendschau/archiv/20160701_1930/regenbogenfamilie.html
Co-Parenting: Artikel über Co-Parenting von den Frauenseiten Bremen
http://frauenseiten.bremen.de/blog/co-parenting-das-neue-familienmodell/

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