Hybride Lernsettings – Tipps & Tricks (3/4)
Zunächst einmal ist hybride Lehre vor allem eines und zwar gewöhnungsbedürftig, denn das Lernsetting, bei dem die Lernenden teils physisch, teils virtuell anwesend sind, ist noch Neuland. Die Lehrenden sind von Vornherein mit einer Diskrepanz zwischen den Teilnehmenden konfrontiert und auch technisch gesehen birgt dieses Szenario ein paar Herausforderungen. Die Lehrenden müssen also einige Dinge beachten: technische Ausstattung, Datenschutz, Zeit- und Aufgabenplanung. Und das ist völlig okay, denn Neues ist immer erstmal unbekannt und muss ausprobiert werden. Genau das scheint die Aufgabe scheint zu sein: es auszuprobieren. Ausprobieren, ob hybride Lehre funktionieren kann. Ausprobieren, ob wir Lösungen für die Herausforderungen finden. Ausprobieren, ob nach einer Eingewöhnungsphase nicht doch ein funktionierendes System entstehen kann. Wenn wir uns jetzt verweigern, kann es sein, dass wir in den nächsten Jahren abgehängt sind. Mit den folgenden Tipps und Tricks kann die hybride Lehre eine Bereicherung werden.
TECHNISCHE AUSSTATTUNG
Ohne eine technische Ausstattung wären hybride Lernsettings gar nicht möglich. Welche Ausstattung nun zur Verfügung steht, liegt oftmals nicht in der Hand des Lehrenden. Meist ist zumindest für die Grundausrüstung bereits gesorgt: ein Laptop mit der entsprechenden Videokonferenz-Software und den entsprechenden Anschlüssen für die Projektion (meist ein HDMI-Anschluss) und eine stabile Internetverbindung. Für die hybride Lehre bedarf es jedoch noch einiges mehr an Geräten. Das Ziel bei der technischen Ausstattung sollte sein, dass man bei der Durchführung der Veranstaltung so wenig Aufmerksamkeit wie möglich an die Technik verliert.
Vor Veranstaltungsstart sollte überprüft werden, ob im Raum ein entsprechendes Gerät für die Tonausgabe vorhanden ist. Sonst muss ein leistungsstarker portabler Lautsprecher mitgebracht werden (Achtung: Sicherstellen, dass der Akku geladen ist). Der eingebaute Lautsprecher im Laptop reicht für die hybride Lehre nämlich nicht aus.
Zudem braucht es für wirklich funktionierende hybride Lehre noch eine Kamera mit Stativ und Mikro sowie ein Smartboard. Im Optimalfall kann eine sogenannte intelligente Kamera genutzt werden. Zwei Features dieser Kameras erleichtern die hybride Lehre enorm: die Trackingfunktion und die Gestenerkennung. Mithilfe einer optischen Trackingfunktion folgt die Kamera der Lehrperson. Algorithmen ermöglichen den intelligenten Kameras die automatische Nachverfolgung von Gesicht und Bewegungen der Lehrenden. Diese Form des Trackings lohnt sich vor allem bei Veranstaltungen wie Vorlesungen, wo insbesondere die Lehrperson spricht. Bei Seminaren, in denen mehr Interaktion auch zwischen den Lernenden abläuft, lohnt sich eher die Voice Based Tracking Funktion. Die Kamera folgt mithilfe der Voice Based Tracking Funktion vollautomatisiert den sprechenden Stimmen und erspart damit die Kamerasteuerung während einer Videokonferenz. Wenn jedoch der Fokus auf etwas gelegt werden soll, bieten die intelligenten Kameras auch häufig die Gestenerkennung an. Mithilfe von Gesten kann dann an gewisse Gegenstände herangezoomt und wieder herausgezoomt werden. Beispiele für intelligente Kamera finden sich hier und hier, im nächsten Blogartikel jedoch stellen wir weitere entsprechende Technik-Artikel und eine Checkliste vor.
Allerdings kann hybride Lehre auch ohne diese praktische Kamera-Technik gelingen. Die Kamerasteuerung muss dann jedoch manuell vorgenommen werden. Durch die ständigen Justierungen geht aber deutlich mehr Aufmerksamkeit an die Technik verloren. Ohne ein gutes Mikrophon hingegen wird es wiederum schwierig. Das Mikrophon muss so stark sein, dass es den ganzen Raum erfassen kann. Auf einem Smartboard sollten die virtuell zugeschalteten Teilnehmenden für die restlichen Seminarteilnehmenden sichtbar sein.
Im worst case gibt es gar keine Kamera und kein Smartboard. Das ist zwar sehr gewöhnungsbedürftig, aber es kann funktionieren. Funktionierender Ton hingegen ist unverzichtbar. Ohne dass die physisch anwesenden Teilnehmenden die virtuell zugeschalteten Teilnehmenden hören können und andersherum, kann es keine hybride Lehre geben.
Als hilfreich gilt in der hybriden Lehre der 2-Client, was so viel bedeutet wie ein zweites digitales Endgerät. Das ist in der Regel ein Tablet. Die Lehrenden haben nämlich häufig das Problem, die virtuell zugeschalteten Teilnehmenden nicht zu sehen. In der Regel werden die virtuell zugeschalteten Teilnehmenden hinter den Lehrenden auf einem Smartboard für die physisch anwesenden Teilnehmenden sichtbar gemacht. Das bedeutet die Lehrenden stehen mit dem Rücken zu den Zugeschalteten. Durch ein zusätzliches Tablet kann dem entgegengewirkt werden.
DATENSCHUTZ
Wenn nun die technischen Voraussetzungen geklärt sind, muss im Vorfeld der Veranstaltung noch festgelegt werden, wer die Veranstaltung virtuell und wer die Veranstaltung in Präsenz besucht. Dazu muss im Vorhinein überprüft werden, wie viele Personen in den Seminarraum dürfen. Hier kommt aber auch der Datenschutz ins Spiel. Weiterhin gilt, niemand muss sich filmen lassen. Dafür muss geprüft werden, ob die Kamera so positioniert und eingestellt werden kann, dass nicht alle Teilnehmenden gefilmt werden. Bei der Nutzung einer Voice Based Tracking-Kamera würde dies z.B. nicht funktionieren. Am besten sollten aber alle physisch anwesenden Teilnehmenden im Vorhinein eine Einverständniserklärung unterzeichen, dass sie bei der Veranstaltung aufgezeichnet und gestreamt werden. Wenn jemand der Teilnehmenden damit nicht einverstanden ist, müssen diese Personen sich virtuell zu schalten und dabei ihre Kamera auslassen. Die virtuell Zugeschalteten sollten aber ebenfalls eine Erklärung unterzeichnen, dass ihnen die Aufnahme der Videokonferenz untersagt ist. Das hat den zusätzlichen Vorteil, dass alle Teilnehmenden im Vorhinein proaktiv werden müssen und sich entscheiden müssen, wie sie dem Szenario beiwohnen wollen. Wenn so transparent wie möglich das Lehrsetting beschrieben wurde, können die Teilnehmenden am besten selbst entscheiden, wie sie der Veranstaltung beiwohnen möchten. Wollen sich zu wenige Teilnehmende virtuell zuschalten, muss dies im Vorhinein per Losfahren geklärt werden. Zusätzlich sollte sich dann für ein Rotationsverfahren entschieden werden, damit die Personen, die virtuell anwesend sind, von Sitzung zu Sitzung wechseln.
ZEITPLANUNG
In Bezug auf Technik und Datenschutz ist hybride Lehre definitiv eine Herausforderung, weshalb es sehr hilfreich ist, eine zusätzliche Hilfskraft zu haben, die den technischen sowie moderativen Vorgang unterstützt. Dass eine solche unterstützende Arbeitskraft häufig utopisches Wunschdenken ist, sollte in jedem Fall in der Zeitplanung berücksichtigt werden.
Insbesondere muss genügend Zeit für die Vorbereitung eingeplant werden z.B. sollten alle Materialien vor der Veranstaltung digital verfügbar gestellt werden. Mindestens 20 Minuten vor Beginn muss dann mit dem technischen Aufbau und Check-In begonnen werden: Laptop hochfahren, Kamera und Mikro positionieren, Video- und Tonausgabe-Kabel kontrollieren, in der Videokonferenz anmelden, Ton und Bild in der Videokonferenz prüfen, den 2-Client in Betrieb nehmen … Das alles kostet Zeit, vor allem wenn das alles Neuland ist. Damit es pünktlich losgehen kann, sollte die Technik rechtzeitig aufgebaut werden. Zudem sei auch dazu geraten, 5 Minuten vor der Veranstaltung mit einem kurzen Check-In für die virtuell zugeschalteten Teilnehmenden zu starten. Das erfüllt nicht nur eine kontrollierende Funktion, ob Ton und Bild bei den virtuell zugeschalteten Teilnehmenden funktioniert, sondern gleichzeitig auch eine aktivierende und motivierende Funktion. Die virtuell zugeschalteten Teilnehmenden fühlen sich von Anfang an mehr involviert, denn ihnen wird direkt gezeigt: Ihr gehört trotz der räumlichen Entfernung zu dieser Veranstaltung. Generell sollte man für die hybride Lehre etwas mehr Zeit eingeplanen als für die reine Präsenzlehre. Im Optimalfall erkündigt man sich nämlich regelmäßig bei den Zugeschalteten, ob sie alles verstanden haben. Zudem müssen Vorgänge, die bei der reinen Präsenzlehre selbstverständlich sind, auch verbal artikuliert werden. So muss der Fokus auch für die Zugeschalteten immer wieder durch folgende Sätze deutlich gemacht werden: „Wir wenden uns nun wieder der Präsentation zu“ und „Nun versuchen wir dies an der Tafel festzuhalten“.
REGELN FÜR MELDUNGEN
Generell lässt sich festhalten, dass die virtuell zugeschalteten Teilnehmenden den physisch Anwesenden etwas unterlegen in Bezug auf ihre Teilhabe sind, in jedem Fall herrscht ein Ungleichgewicht: Die virtuell Zugeschalteten bekommen doch deutlich weniger mit als die physisch Anwesenden. Dazu kommt, dass man eine virtuell erhobene Hand deutlich schneller übersieht als die Hände der physisch Anwesenden. Daher sollten direkt zu Beginn Regeln für Meldungen festgelegt werden. Alle Lehrenden müssen für sich entscheiden, wie sie Meldungen am besten für sich ordnen können. Möglicherweise fällt es manchen Lehrpersonen mithilfe eines 2-Client leicht, den Überblick über die virtuell und physisch gehobenen Hände zu halten. Wenn es jedoch nicht funktioniert, sollte sich nicht gescheut werden, das Melde-System nochmal zu verändern. Hauptsache es werden klare Regeln festgelegt, denn sonst sind die digitalen Zugeschalteten schnell nur noch Zuschauende statt Teilnehmende. Eine andere Variante ist, dass die virtuell zugeschalteten Teilnehmenden einfach „Meldung“ sagen, wenn sie einen Redebeitrag haben, eine andere Variante ist es, den Ton der Videokonferenz auf laut zu stellen, so dass ein Benachrichtigungston ertönt, wenn sich jemand meldet. Diese Funktion findet sich meistens unter den Einstellungen des Videokonferenz-Tools. Das hat den Vorteil, dass kein Unterschied zwischen den räumlich und den virtuell anwesenden Teilnehmenden herrscht und die Diskussion lebendig von allen Seiten geführt werden kann.
Jedoch ist es ebenfalls nicht so einfach, eine Reihenfolge in die visuell und auditiven Meldungen zu bringen. Außerdem müssen die virtuell zugeschalteten Teilnehmenden deutlich mehr Mut aufbringen, um eine Diskussion mit der eigenen auditiven Meldung zu unterbrechen. Da ist die lautlos gehobene Hand im Seminarraum schon deutlich einfacher. Daher ist es auch eine Variante, das Wort immer erst den virtuell zugeschalteten Teilnehmenden zu geben und anschließend an die räumlich Anwesenden. Dadurch wirkt die Diskussion vielleicht zunächst etwas einseitig, aber integriert eben mehr die sonst „Außenstehenden“. Ansonsten bleibt auch immernoch die Alternative, Meldungen über andere Personen sortieren zu lassen. Lehrende könnten dafür eine Person der Teilnehmenden dazu auszuerkoren, die Meldungen zu sortieren.
PAUSEN
Was bei der Zeitplanung ebenfalls gerne vergessen, aber in jedem Fall berücksichtigt werden sollte: Ein Teil der Teilnehmenden ist virtuell zugeschaltet! Durch Corona sind die meisten Menschen in den Genuss oder die Qual – je nach Ansicht – von Videokonferenzen gekommen und wissen daher, dass Videokonferenzen anstrengend sind. Der Bedarf nach Pausen ist also stark erhöht. 90 Minuten durchgängig zuzuhören, ist virtuell deutlich schwieriger zu bewältigen als physisch. Daher sollten bei langen Phasen ohne Interaktivität unbedingt kurze Pausen gemacht werden! Von den physisch Anwesenden kann die Zeit ebenfalls produktiv zum Lüften genutzt werden.
AUFGABENFORMATE
Auch bei der Wahl der Aufgabenformate stellt der hybride Raum die Lehrenden häufig vor Herausforderungen. Hier finden sich einige Formate, die sich gut und einfach in den hybriden Raum übertragen lassen:
Gruppenarbeiten sind hier zwar mithilfe der digitalen Breakout-Räume möglich, aber aufgrund der Abstandsregeln für die physisch Anwesende nicht so einfach realisierbar, auch sind so Kollaborationen zwischen physisch und virtuell Anwesenden nahezu ausgeschlossen. Außerdem müssen die physisch Anwesenden nahezu dazugezwungen werden, ihre Arbeitsergebnisse digital festzuhalten, um sie für alle gleichwertig zur Verfügung stellen zu können. Trotzdem sollte die Interaktion nicht zu kurz kommen. Möglicherweise lohnt es sich daher, Gruppenarbeiten zu dezentralisieren, also außerhalb des regulären Veranstaltungstermins stattfinden zu lassen. So können die Teilnehmenden in kleinen Gruppen selber entscheiden, unter welchen Bedingungen und ob sie sich virtuell oder physisch anwesend treffen.
FAZIT
Die Liste der Herausforderungen scheint erstmal lang. Doch durch die entsprechenden Vorbereitungen scheint hybride Lehre durchaus umsetzbar. Andererseits ist es auch möglich, dass Lehrende merken, dass dieses Format nichts für sie sei. Dann sei auf die vielen anderen alternativen hybriden Formate verwiesen, die es gibt, verwiesen. Niemand kann voraussagen, was sich die nächsten Jahre durchsetzen und etablieren wird. Augen auf und mitten rein in die Herausforderung der hybriden Lehre! Als Hilfestellung gibt es im nächsten Artikel noch eine Checkliste.
QUELLEN
Für die technischen Herausforderungen sehr hilfreich: Zentrum für Mediales Lernen
Für didaktische Empfehlungen: Hochschule RheinMain oder Technische Universität Darmstadt