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Ewa´s Haarstudio, ein kleiner Friseursalon in der Kasseler Nordstadt ist, wie die gesamte Umgebung, stark international geprägt. Seit über 20 Jahren hat hier eine gebürtige Polin das Sagen und verschönert gemeinsam mit ihren beiden Angestellten die Köpfe ihrer breit gefächerten Kundschaft.

Wenn man von der Holländischen Straße in die Karolinenstraße abbiegt, fällt zunächst eines auf: die Ruhe. Von der hektischen Betriebsamkeit in einer der berüchtigsten Straßen Kassels, in der sich wie an einer Perlenschnur Kebabläden, Internetcafés und Gebrauchtwagenhändler unterschiedlichster Nationalitäten aneinanderreihen, ist hier nichts zu spüren. Was wahrscheinlich auch daran liegen könnte, dass die Karolinenstraße fast komplett eingebettet wird vom Kasseler Hauptfriedhof, der einer großen Parkanlage gleicht. Hier befindet sich Ewa´s Haarstudio im Erdgeschoss eines purpurrot verputzten Mehrfamilienhauses aus der Jahrhundertwende. Die Inneneinrichtung ist hell und freundlich, der Blick fällt sofort auf die gegenüberliegende Wand, die mit einer großen Fototapete verziert ist. Das Motiv: geöffnete Tuben mit Haarfarben. “ Viele denken auf den ersten Blick, dass das Waschmaschinen sind“, sagt Ewa Hajdu amüsiert mit einem verschmitzten Ausdruck in den Augen. Die Namensgeberin und Besitzerin des Salons steht auch noch mit 69 Jahren jeden Tag an ihrem Arbeitsplatz, dem Friseurstuhl. Sie hat stets ein Lächeln auf den Lippen. Ihre mütterliche Art sorgt dafür, dass man sich auf Anhieb wohl fühlt. Wenn man an die Reihe kommt, wird man freundlich begrüßt, je nachdem mit „Guten Tag“ oder „Dzien Dobry“. „Unsere Kundschaft ist in etwa 50 Prozent Deutsch und 50 Prozent Polnisch“, erklärt Sybille Külmmer, eine der Angestellten des Salons. Wie die Inhaberin Ewa Hajdu und deren Tochter Wanda Dlugosz, ist sie in Polen geboren. In den Gesprächen wird so oft Polnisch und Deutsch in einem Satz untergebracht, dass einem beim Zuhören geradezu schwindelig wird. An diesem Tag ist auch Italienisch dabei, denn eine Kundin, bereits Mitte 80, lässt ihre Wünsche von ihrer Tochter simultan ins Deutsche übersetzen. Was man mit Worten nicht versteht, funktioniert auch mit Händen und Füßen und am Ende sind Friseur und Kunde zufrieden mit dem Ergebnis.

Ehrlichkeit als Erfolgsrezept

Wanda Dlugosz, 39 Jahre und Friseurmeisterin, sitzt im frisch renovierten Aufenthaltsraum und genießt ihre Pause. „Dieser Rückzugsort ist sehr wichtig, denn manchmal ist es bei der Arbeit doch ganz schön laut und da ist es schön, mal zwischendurch seine Ruhe zu haben.“ Sie arbeitet im Salon ihrer Mutter, seitdem sie ihre Ausbildung vor 18 Jahren abgeschlossen hat. „Eigentlich wollte ich Kosmetikerin werden, aber in Deutschland hatte ich die Möglichkeit, dies mit dem Friseurberuf zu kombinieren und so bin ich halt Friseurin geworden“ sagt sie rückblickend auf ihre Anfänge im Beruf. Das Lächeln und das Strahlen in den Augen hat sie eindeutig mit ihrer Mutter gemeinsam. Und es wirkt genauso ansteckend. Man fühlt sich in ihrer Gesellschaft sofort wohl, auch weil sie ein so offenes Wesen hat. Diese Offenheit ist wichtig für ihre Arbeit, was die Philosophie des Salons betrifft: „Wir sind sehr ehrlich zu unseren Kunden. Wenn beispielsweise eine Kundin mit einem Foto eines Prominenten zu uns kommt und sagt, dass sie genauso aussehen möchte, müssen wir meist sagen, dass das so nicht funktionieren wird. Jedes Haar ist anders, deswegen kann man auch den Haarschnitt oder die Haarfarbe einer Person niemals zu hundert Prozent auf einen anderen Kopf übertragen. Dabei kann es auch passieren, dass ich beispielsweise Blondierungen verweigere, wenn ich genau weiß, dass bei der Kundin die Haare abbrechen.“ Man arbeitet stattdessen gemeinsam daran, bis das Passende für den jeweiligen Typ gefunden wird und der Kunde zufrieden den Salon verlässt. “ Die Leidenschaft für den Beruf und gute Beratung sind sehr wichtig, dabei schauen wir nicht aufs Geld, so wie es viele andere Konkurrenten tun. Deshalb kommen die Kunden auch immer wieder gerne zu uns, einige auch schon seit vielen Jahren“, ergänzt Wanda.

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Gute Laune ist ansteckend

Damit ein Kunde auch Stammkunde wird, ist es wichtig, dass die Chemie stimmt. Denn an die Haare lässt man nur jemanden, zu dem man vollstes Vertrauen hat. Auch die beiden Freundinnen Anke und Marsha, die schon lange hierherkommen, schätzen die gute und ehrliche Arbeit der drei Friseurinnen. „Ich komme gerne hierher, weil das Ergebnis am Ende immer passt. Ich sage: ‚mach einfach, wie du denkst, du weißt es am besten‘, und ich bin immer zufrieden gewesen“ sagt Anke. Marsha schätzt besonders die offene und freundliche Atmosphäre. „Ich bin mit Sybille auch privat viel zusammen, deswegen gibt es immer viel zu lachen und zu bequatschen“. Die Stimmung ist ausgelassen. Zwischen Blondierung und Spitzenschneiden wird lautstark geredet und gealbert. Sybilles fröhliches Lachen schallt durch den ganzen Raum und der Rest stimmt schnell mit ein. Hier ist Frisieren mehr als nur ein Job, das Verhältnis der drei Damen zu den Kunden ist freundschaftlich und herzlich. Bei derart guter Laune sind Anke und Marsha auch bereit, sich fotografieren zu lassen: „Du, ich hab kein Problem damit, ich stelle mich auch mit Farbe auf dem Kopf und Kittel auf die Straße zum Rauchen.“ Gesagt getan, und schon stehen die beiden draußen, um die Einwirkzeit der Farbe mit einer Zigarette zu verkürzen. Offenheit ist in Ewas Haarstudio die allgemeine Währung. Durch alle Kulturen hinweg kommt jeder, der seinen Kopf rundum erneuern möchte. Lagebedingt kommen natürlich auch viele türkischstämmige Kunden, da komme es aber immer mal vor, dass die Männer darüber bestimmen wollen, wie ihre Frau aussehen soll. „Wenn ich eine muslimische Kundin habe, die direkt nach dem Frisieren wieder ihr Kopftuch anlegt, denke ich schon manchmal, dass es schade drum ist. Die Frauen sagen dann meistens, dass sie sich für ihre Männer daheim schön machen und nicht für die Öffentlichkeit“, verrät Wanda.

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Friseuralltag zwischen Haarschnitt und Lebensberatung

Die jüngeren Kunden übernehmen meist Wanda und Sybille, während Ewa die älteren Kunden gerne übernimmt. Auf jeden Wunsch wird individuell eingegangen, von einer Tasse Kaffee bis zur Lebensberatung. „In diesem Beruf hat man einen guten Einblick in die Seele der Menschen. Von den Kunden erfährt man sehr viel, was sie privat beschäftigt. Da fließen dann auch mal Tränen“ meint Wanda. Vor allem in der dunklen Jahreszeit passiere es öfter, dass man sich mit den Kunden über Trauriges unterhält, beispielsweise einen Krankheits- oder Todesfall in der Familie. Ob das nicht ziemlich an die Nieren geht, wenn man nebenbei so etwas wie ein Kummerkasten ist? „Es ist manchmal schon belastend, aber meist kann ich gut abschalten mit einem schönen Buch, wenn ich Zeit mit der Familie verbringe oder ein erholsamer Urlaub.“ Doch neben dem Traurigen gibt es auch viel anderen Gesprächsstoff, sei es über Politik, Sport oder lustige Anekdoten. Es wird gelacht über das geschmacklose Hochzeitsoutfit des Bräutigams, der Turnschuhe zum fuchsiafarbenen Anzug kombiniert, oder wie man mal den netten Herrn von der Telefonumfrage reingelegt hat. Zur Kategorie Amüsantes gehört heute auch ein vierjähriger Junge, der es kaum erwarten kann, bis er endlich fertig ist. Entsprechend ungeduldig wackelt er mit dem Kopf hin und her, sodass Sybille sichtlich Mühe hat, einen sauberen Haarschnitt durchzuführen. Nachdem der Kleine noch ein paar blaue und grüne Haarsträhnen und einen Lutscher bekommen hat, ist er glücklich und ist es noch mehr, als er feststellt, dass sich der Rollhocker wunderbar als Fahrgerät eignet. Irgendwann muss er dann doch von Mama gebremst werden, der Hocker geht wieder an Ewa zurück. Zwischendurch hat sie Zeit, um über ihre Anfänge in Deutschland und im Salon zu sprechen. Seit nunmehr 54 Jahren arbeitet Ewa als Friseurin und ist 1990 gemeinsam mit ihrer Tochter Wanda und ihrem Ehemann, ebenfalls Friseur, vom polnischen Knurów nach Kassel gezogen. Bis kurz vor seinem Tod hat er noch selbst im Salon in der Karolinenstraße gearbeitet, bis sie diesen 1993 von ihrem verstorbenen Mann übernommen und weitergeführt hat.

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Immer dabei ist ihr kleiner Hund Daxi, der es sich bei Frauchen auf dem Schoß bequem gemacht hat und ihre Aufmerksamkeit sichtlich genießt. Jeden Tag kommt er mit in den Salon und gehört mittlerweile zum Stamminventar, genauso wie Wandas Hund Kasha, die aber wesentlich zurückhaltender ist als der quirlige Daxi, der aus dem Aufenthaltsraum ausbüxt, wenn ihm zu langweilig wird und sich gerne bei den Kunden aufhält. Spätestens um 16.30 Uhr ist ihre Geduld vorbei und beide Hunde machen deutlich, dass sie endlich nach Hause wollen: Daxi sitzt in der Tür und wartet gespannt wie ein Flitzebogen, dass sein Frauchen die Leine holt. Nachdem alle Kunden gegangen sind, alles aufgeräumt und verschlossen ist, bleibt noch die Frage, was dem Trio an dieser Gegend besonders gefällt. Ewa hat darauf eine sehr gute Antwort: „Hier wohnen ganz normale Leute, die nicht so etepetete sind. Hier findet einfach das echte Leben statt, ohne, dass es dabei Probleme gibt.“ Ein Statement, das gerade in dieser Zeit unterstreicht, dass man friedlich zusammenleben kann, obwohl man vermeintlich so unterschiedlich ist. “ Wanda ergänzt zum Schluss: “ Unruhe gibt es so gut wie gar nicht, viele behaupten ja, dass hier nur komische Leute wohnen, aber weißt du, die gibt´s überall.“ So verabschieden sich Mutter und Tochter in den Feierabend, morgen früh um acht werden die Pforten des Salons wieder für die Kundschaft eröffnet. Solange haben Friseurinnen und Hunde erst einmal Ruhe, bevor wieder ein volles Terminbuch auf sie wartet.