Rahel Winterstein hat es geschafft. Endlich konnte Sie ihren Traum verwirklichen und hat das Café Cortés in der Kurze-Geismar-Straße in Göttingen übernommen.
Als frischgebackene Geschäftsführerin leitet sie die Konditorei, wobei sie von ihrem Lebensgefährten Johann Kruse, der eigentlich Prokurist der Weinhandlung Bremer ist, im Hintergrund unterstützt wird. Sie ergriffen die Chance und übernahmen die Konditorei von Ehepaar Cortés, welches nach knapp 30 Jahren im Geschäft froh ist, ihr Lebenswerk in guten Händen zu wissen, um sich langsam in den Ruhestand zu verabschieden.

Rahel Winterstein ist in ihrem Element

Ich treffe Rahel in ihrem neuen Café nach Ladenschluss, wo sie noch fleißig Leckereien der Konditorei für den nächsten Tag vorbereitet und anrichtet. Zwischen Etageren voll mit Keksen und Törtchen grinst Rahel mich an, als ich hereingeschneit komme. Die hohe, gläserne Theke verdeckt fast ihren ganzen Körper und lenkt den Blick auf all die leckeren Köstlichkeiten. Doch durch den Übernahmestress sieht sie etwas erschöpft aus. Die letzten Monate haben sie nahezu ausgelaugt. Bevor für Rahel nun der Feierabend beginnt, wird sie noch einige Stunden mit Vorbereitungen verbringen und Bestellungen tätigen. Morgen früh steht sie dann wieder hinter der Theke. Viel Zeit für Essen, Schlaf oder etwas Privatzeit bleibt da nicht.

Bunte Geschenkideen im Café Cortés

Sie holt uns zwei Mineralwasser und wir setzen uns in eine Sitzecke, wo vor einer Stunde noch fleißig Torten verspeist wurden. Bunte, kuriose Uhren hängen an der Wand hinter uns und ein kleiner Baum steht in der Mitte des Raums, geschmückt mit kleinen Taschen und Geschenkideen. Sie fängt an, von ihrem lockeren and ungewöhnlichen ersten Treffen mit Frau Cortés zu erzählen. Letztes Jahr hatte sie zusammen mit ihrem Mann händeringend nach Nachfolgern gesucht – vergeblich. „Ich bin so lange da, bis Sie den Laden übernehmen“, hatte sie bei ihrem ersten Zusammentreffen gescherzt. „Das machen wir“, entgegneten Rahel und Johann damals schmunzelnd.
Gesagt, getan. Drei Monate später fängt Rahel als zukünftige Chefin an mitzuarbeiten, um den Laden von innen heraus kennenzulernen. Nun steht sie jeden Morgen ab halb zehn im Geschäft und bereitet alles für den anstehenden Tag vor. „Pünktlichkeit war noch nie meine Stärke“, witzelt sie dabei selbstkritisch und rückt ihre eckige, schwarze Brille zurecht. Wie gut, dass sie nun ihre eigene Chefin ist.

Schon früher mochte sie das Cortés, den Ursprungsort der berühmt berüchtigten Himbeertorte, die auch über Göttingens Grenzen hinaus bekannt ist. Gerade zu Geburtstagen und anderen Festen wurde diese im Hause Winterstein verspeist. Rahel erblickte 1983 in der Nähe von Bremen das Licht der Welt und hat noch einen kleineren Bruder. Ihre Eltern waren beide selbstständig. Doch nach der Scheidung zog die Mutter mit den beiden Kindern nach Göttingen, der Vater nach Hamburg.

Nun steht sie selber auf der anderen Seite der Theke und schreibt die Geschichte des Cortés weiter. Es ist ihr Baby, ihr Projekt, das sie mit Herzblut und Engagement verfolgt. Sie hat nicht nur irgendein Café gekauft, sondern verfolgt die Philosophie, ein traditionsreiches Familienunternehmen weiterzuführen.  Trotz der großen Konkurrenz, wie beispielsweise dem altehrwürdigen Cron & Lanz, konnte sich das Café Cortés einen Platz im Herzen vieler Göttinger sichern. Den früheren Chef Cortés konnte sie auch nach der Übernahme noch für einige Zeit als Konditor halten. Auch die ehemalige Besitzerin hilft gerne an stressigen Tagen aus. Tradition wird hier nun mal noch gelebt und von den Kunden sehr geschätzt.

Nichtsdestotrotz spürt man den frischen Wind, der seit Anfang Januar durch das Café weht. „Wir haben umgeräumt, Sitzgelegenheiten mit Kissen in den Schaufenstern und Blümchen auf den Tischen“, berichtet Rahel stolz, als ihr Blick über die neudekorierte Empore schweift, wo grüne und blau glitzernde Hirsche durch schlichte Kaffeekannen ersetzt wurden. Sie rückt den Pferdeschwanz zurecht und erzählt begeistert weiter. „Gleich am zweiten Tag nach der Ladenübergabe war der Laden voll.“ Eine ganz schön große Herausforderung. Das neue Kassensystem und der veränderte Look waren nicht nur für ihre Mitarbeiter neu, auch die Gäste waren überrascht.

Im traditionsreichen Café weht frischer Wind

Inspiriert hierzu hat Rahel schon damals ihre Chefin im kleinen Ladengeschäft „Suchen und Finden“ in Marburg, bei der sie während ihres Pädagogikstudiums gearbeitet hat. Sie kombinierte in ihrem Laden Einzelhandel mit einem Servicegedanken – ein erfolgversprechendes Konzept. Es gab Kaffee und Schnittchen, während man durch das umfangreiche Angebot von Küchenutensilien bis Bekleidung stöberte. Genau das möchte Rahel jetzt auch weiter im Cortés umsetzen. Von Süßigkeiten über kleine Taschen und Mitbringsel kann man viele kleine Sachen bei einem Stück Kuchen im Cortés entdecken. Sogar die Uhren und Spiegel an den Wänden kann man kaufen.

Ihre Liebe für die Gastronomie hat Rahel übrigens nach bestandenem Abitur und abgebrochener Zahnarzthelfer-Ausbildung entdeckt. Beim Frühstücksservice im Hotel Intercontinental in Hamburg sammelt sie ihre ersten Erfahrungen im Service, was jedoch auch eine sehr anstrengende Zeit für sie war. „Ich will nie wieder kellnern“, schwört Rahel sich damals. „Hat ja super geklappt“, gesteht sie ein – der Sarkasmus ist nicht zu überhören.

Aber kann einem die Gastronomie tatsächlich auch mal über den Kopf wachsen? „Gastro ist mehr Leidenschaft“, stellt sie eindeutig fest und nimmt einen Schluck von ihrem Mineralwasser. „Aber man darf sich andererseits auch nicht kaputt machen lassen“. Deshalb macht Rahel als Ausgleich Yoga, um den Kopf frei zu kriegen. Doch das kommt wegen ihres neuen Projektes leider deutlich zu kurz, klagt sie. Andere Hobbies hat sie gerade nicht, aber sie investiert ihre restliche Zeit voll und ganz in ihre Freunde, die Familie und natürlich in ihren Laden. „Ich hab so Bock drauf“, schießt es aus ihr heraus. Ihr Wille und ihre Leidenschaft sind förmlich greifbar.

Hausgemachte Köstlichkeiten aus dem Café Cortés

Bald werden sie im Cortés auch Pralinenworkshops anbieten, was weiteren frischen Wind in den Laden bringt. Auf welche zusätzliche Veränderungen sich die Gäste im Café Cortés noch freuen dürfen, bleibt abzuwarten. Hauptsache die Himbeertorte bleibt.